II. Schicksale der Handschrift
Die Wege des Codex Manesse durch die Jahrhunderte sind verschlungen und liegen zum Teil bis heute im Dunkeln. Die zweite Sektion fragt, wie aus dem Codex der Zürcher Familie Manesse die „Große Heidelberger Liederhandschrift” wurde.
Nur wenige Zeugnisse belegen, dass der Codex in der Frühen Neuzeit schon einmal Teil der Kurfürstlichen Bibliothek auf dem Heidelberger Schloss war. Ungleich akribischer dokumentiert ist die sogenannte Rückkehr des Codex nach Heidelberg im Jahr 1888, als die Handschrift als Unterpfand für die geschichtsträchtige Identität der Heidelberger Universität galt.
Das von dem Straßburger Buchhändler Karl-Ignatz Trübner eingefädelte Tauschgeschäft, das den Codex aus dem Eigentum der Pariser Bibliothèque Nationale auslöste, zeigt die ‚Rückkehr’ nicht allein als lokalpatriotisches, sondern auch als nationales Anliegen. Die wachsende Aufmerksamkeit für den Codex spiegelt sich nicht zuletzt in der seit dem frühen 19. Jahrhundert rasant steigenden Zahl an Reproduktionen der Miniaturen.
Neben die Schicksale der Handschrift tritt die moderne Wiederentdeckung der in ihr versammelten Lieder: Nach einer ersten, spärlichen Rezeption in der Barockzeit rückte die mittelalterliche Kunst des Minnesangs dank erster Editionsbemühungen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in den Blick der Romantiker.
Ihre große Mittelalterbegeisterung wird in der Ausstellung exemplarisch an zwei Protagonisten des hohen Mittelalters vorgeführt: an der skurrilen Figur des ‚Venusritters’ Ulrich von Lichtenstein, dessen zwischen Autobiographie und Fiktion oszillierendes Werk von Ludwig Tieck entdeckt wurde, und an Walther von der Vogelweide, der ab dem 19. Jahrhundert zum meist rezipierten, mehr und mehr vaterländisch verklärten Dichter aus dem Codex Manesse avancierte.
Auch jenseits dieser nationalen Vereinnahmung bleibt Walther derjenige Dichter, dessen Werke bis heute am häufigsten zitiert und literarisch in die Gegenwart ‚übersetzt’ werden.
Vorschau der Exponate
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