I. Ritual und Herrschaft
Rituale und Zeremonien erfassten in der Vormoderne alle Lebensbereiche und alle Ebenen der ständisch geordneten Gesellschaft. Aus ihrer Vielfalt greift die Ausstellung Beispiele für vier Komplexe heraus, die sich in die Kategorien Politik, Religion, Gesellschaft und Recht gliedern lassen. Die erste Sektion führt den Themenbereich „Politik“ an den Ritualen vor, durch die die römisch-deutschen Könige vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches erhoben und an die Spitze des fürstlichen Lehensverbandes gesetzt wurden.
Ein zentrales Gesetzeswerk für den Wahlakt stellt die „Goldene Bulle“ Karls IV. von 1356 dar, im Katalog durch einen späten Druck vertreten (Nr. I.2), die das gewohnheitsrechtlich etablierte Kolleg der Kurfürsten als Königswähler erstmals normativ festhielt. Sie wird flankiert durch ein literarisches Zeugnis, den „Weisskunig“, der Leben und Taten Kaiser Maximilians I. verfremdete und überhöhte (Nr. I.1). Wie Maximilian I. am 16. Februar 1486 wird auch der Protagonist im „Weisskunig“ im Bild nicht von sieben, sondern lediglich von sechs Königswählern erhoben.
Aus dem Privileg, den König zu küren, leiteten die Kurfürsten das Recht ab, auch über seine Regierung zu urteilen. Dies wird in der spektakulären Absetzung König Wenzels im Jahr 1400 deutlich, dem die Zeitgenossen den Beinamen „der Faule“ verliehen (Nr. I.3). Eine solche Richterfunktion war in der „Goldenen Bulle“ freilich nicht verbrieft. Vielmehr findet sich dort das Ritual der „Erzämter“ beschrieben, das die Unterwerfung der Kurfürsten unter den von ihnen gewählten König demonstrierte: Beim an die Krönung anschließenden Festbankett bedienten sie ihn symbolisch bei Tisch und versorgten seine Pferde mit Hafer (Nr. I.5).
Zweifellos liegt ein Grund für die Wirkmacht von Ritualen in der Vormoderne im geringen Organisationsgrad der politischen Ordnung. Angesichts mangelndem Gewaltmonopol und einer entsprechend hohen Konsensorientierung der Eliten spielte symbolische Kommunikation eine große Rolle: Das „Reich“ der Vormoderne verstand sich selbst als durch Treueeide geeinten „Personenverband“. Besonders deutlich wird dies in den Lehensritualen des Adels, die durch die zwischen Herrn und Vasall geschlossene Bindung ein weitausgreifendes Gefüge persönlicher Loyalitäten stifteten (Nr. I.8, I.9).