IV. Die Macht der Minne
Die Liebe zu Gott in der Mystik
Die Liebe zu Gott war das zentrale Thema der christlichen Mystiker. Die Vorstellung vom liebenden Gott trat damit vor die des Weltenrichters. Die menschliche Seele, nun gleichgesetzt mit der Braut Christi, muss um die Liebe Gottes werben, um ihr Heil zu erlangen.
Der Basler Franziskanermönch Otto von Passau verfasste in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts „Die 24 Alten”. Die ganzseitige Illustration in der Heidelberger Handschrift zeigt den thronenden Weltenherrscher inmitten einer Mandorla. Er krönt eine minnende Seele in der Gestalt einer Jungfrau, die zu seinen Füßen kniet. An den Rändern stehen 26 weitere gekrönte Frauen. Ihre weißen Märtyrergewänder und die Stigmata an Händen und Füßen zeichnen sie als Nachfolgerinnen Christi aus.
In vielen anderen Handschriften, die den Text Ottos von Passau enthalten, sind statt der Jungfrauen 24 alte Männer dargestellt. In Anlehnung an den Text der Apokalypse stehen sie um den Thron Gottes. Wegen ihrer Nähe zu Gott können sie den Lesern Ratschläge zur richtigen Lebensführung geben, die zur Erlangung des Seelenheils führen sollen.
IV.26 Otto von Passau: Die 24 Alten, Straßburg, Elsässische Werkstatt von 1418, 1418
UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 27
Bl. 1v: Christus mit den minnenden Seelen