III. Die Entdeckung der höfischen Liebe
Minnesang als Sublimierung von Aufstiegsambitionen
Erich Köhlers ‚Ministerialenthese’
Ein wichtiger Ansatz zur Erklärung des Gesangs von der Hohen Minne stammt von dem Romanisten Erich Köhler. Köhler verstand den Hohen Sang als Ausdrucksmedium des sogenannten Ministerialenstandes. In der Dienstmetaphorik des Minnesangs habe dieser Stand sein Selbstverständnis, seine Aufstiegsambitionen und seine Frustrationen zum Ausdruck gebracht.
Während Norbert Elias das Phänomen des Minnesangs zivilisationshistorisch deutete, ging es Köhler (1924‒1981) um eine sozialhistorische Interpretation. Er sieht im Sänger-Ich des Minnesangs die kollektive Stimme einer sozialen Schicht, die durch Dienst in den Status der auf diesen Dienst angewiesenen adeligen Herren aufsteigen will. Im deutsch- sprachigen Raum ist diese Schicht für Köhler die Ministerialität. Die Ministerialen waren ursprünglich unfreier Herkunft. Im Lauf des 12./13. Jahrhunderts wurden sie als loyale Helfer im Dienst der Herrscher- und Fürstenhöfe des Reichs zu einer neuen Funktions- und Verwaltungselite.
III.8 Erich Köhler: Vergleichende soziologische Betrachtungen zum romanischen und zum deutschen Minnesang, in: Karl Heinz Borck/Rudolf Henss (Hrsg.):
Der Berliner Germanistentag 1968. Vorträge und Berichte, Heidelberg 1970,
S. 61-76
UB Heidelberg, 70 B 3163