III. Die Entdeckung der höfischen Liebe
Höfische Liebe – und obszönes Treiben
Das tradierte Bild vom Liebesgarten verdichtet das Ideal der höfischen Minne im Schutz eines hortus conclusus. Der nach dem Hausbuch der Grafen zu Waldburg-Wolfegg benannte Hausbuchmeister greift diese Tradition auf und persifliert sie zugleich.
Einerseits sehen wir den umfriedeten Liebesgarten, der symbolisch für Fruchtbarkeit steht, mit einem Brunnen in seiner Mitte. Daran vorbei fließt ein Bach, der die Szenerie teilt. Auf der rechten Seite spaziert ein züchtiges Liebespaar, das die traditionelle Darstellungsweise eines Liebesgartens ergänzt. Ineinander vertieft scheint es die Paare auf der anderen Seite des Baches nicht zu beachten. Dort sehen wir andererseits um einen Tisch gruppierte Frauen und Männer mit weniger sittsamem Verhalten: Ein Mann greift seiner Tischnachbarin beherzt an die Brust, und ein Narr stellt sein Gemächt zur Schau. Diese vorgetäuschte Abwendung und die Obszönität der Szene machen den ironischen Umgang mit der traditionellen Liebesgartendarstellung deutlich.
III.9 Das mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg. Faksimile, hrsg. von Christoph Graf zu Waldburg-Wolfegg, München 1997
UB Heidelberg, Re 1386::[1], Bll. 24v/25r: Liebesgarten