HandSchrift – Bewährt mit Pinsel und Feder
Literarische Fernreisen, exotische Lesefrüchte
Der Bericht von der Reise des Ritters Jean de Mandeville in exotische Länder dürfte zwischen 1357 und 1371 verfasst worden sein. Der Text enthält einige fiktive Angaben zum Verfasser, der vorgibt, von Reisen bis nach Indien und China zu berichten, die er selbst unternommen habe. Sicher hat er literarische Vorlagen benutzt, möglicherweise hatte er Konstantinopel selbst bereist, eventuell auch das Heilige Land, darüber hinaus war er aber nicht gekommen.
Von diesem Bericht existieren Übertragungen in verschiedene europäische Sprachen. Insgesamt gehört die phantastische Reisebeschreibung zu den erfolgreichsten Texten des Spätmittelalters. Otto von Diemeringen
(† 1398), Domkanoniker in Metz, übersetzte zwischen 1368 und 1398 die französische Fassung unter Beiziehung einer lateinischen Übertragung ins Deutsche.
Der Reisebericht zerfällt in zwei ungefähr gleich lange Teile. Der erste beschreibt den Pilgerweg nach Jerusalem und Ägypten. Im zweiten Teil berichtet Mandeville von seiner Entdeckungsreise nach Indien, zu den Inseln des Indischen Ozeans, nach China, Afrika, in das Reich des mongolischen Großkhans sowie in das Reich des Priesterkönigs Johannes. Dabei werden die Berichte mit fortschreitender Entfernung zum Ausgangspunkt immer phantastischer. Der Text gibt die seit langem verbreiteten „Historien“ über die Wunder des Orients wider und beschreibt Fabelwesen, wie den Vogel Phönix. Dazu kommen die Episoden der Heilsgeschichte und Geschichten von christlichen Märtyrern.
Die aufgeschlagene Doppelseite zeigt Text und Bilder zur Reise in Ägypten. Auf der linken Seite sieht man einen Brutofen zum künstlichen Ausbrüten von Hühner- und Enteneiern. Auf der rechten Seite sind drei Arten von Bäumen dargestellt: der Paradiesapfel, der Adamsapfel und die Balsambäume.
I.21
Jean de Mandeville: Reise ins Heilige Land in der deutschen Übersetzung des Otto von Diemeringen; Jacobus de Theramo: Belial, Oberschwaben (Ulm?), um 1469–1471
Papier, 197 Bll., 31,5 x 21,5, 195 kolorierte Federzeichnungen
WLB Stuttgart, Cod. theol. et phil. 2° 195, Bl. 121v/122r