Eine Initiative der Universitätssammlungen
Jeden Monat stellt sich eine der universitären Sammlungen in der Universitätsbibliothek im Neuenheimer Feld vor. Im Juni präsentiert sich die Sammlung Prinzhorn im Foyer der Zweigstelle der Universitätsbibliothek. Bis heute ist die Sammlung Prinzhorn Teil der Psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg. Mit ihren 6000 Werken von Anstaltsinsassen aus der Zeit um 1900 ist sie weltweit einzigartig. Doch die Sammlung wächst seit 1980 auch weiter. Im Neuenheimer Feld ist nun eine textile Arbeit aus der neuen Sammlung des Museums zu sehen, ein von 2014 bis 2016 entstandener Teppich mit Pflanzen- und Tiermotiven einer unter dem Pseudonym „Ursi“ arbeitenden österreichischen Künstlerin. Die beeindruckend aufwendig und eigenwillig geflochtenen, geknüpften und bestickten Tiere und Pflanzen faszinieren und berühren den Betrachter – ähnlich wie so mancher Klassiker der Sammlung.Ein bestickter Bildteppich von Ursi
Ursi, so das Pseudonym der ehemaligen Lehrerin und Aufnahmeleiterin des Fernsehens aus Villach/Österreich (* 1951), schenkte seit 2009 der Sammlung Prinzhorn vier bestickte Bildteppiche. Nach einer psychischen Krise entdeckte die Künstlerin die heilende Wirkung des Flechtens, Nähens und Stickens. Das Handarbeiten ist für sie „wie das Einnehmen von Medikamenten oder auch etwas Schönes träumen“. Ursi arbeitet nach einem selbstentwickelten Baukastensystem. Zunächst näht sie verschiedene Pflanzen aus dem dünnsten Garn, das sie finden konnte. Dieses Garn ist für die Künstlerin von größter Bedeutung. Sie nennt es daher „Wunderwaffe“. Manchmal meint sie sogar, es sei „wie Fleisch und Haut“. Sie flicht aus sechs Fäden einen Strang, aus dem sie dann die Figuren knüpft. Niemals wiederholt sie dabei ein Motiv. Anschließend fixiert sie die Pflanzen exakt auf den Trägerstoff – wie Wörter auf eine Zeile. Die Sammlung Prinzhorn zeigt ihre letzte Stickerei, die 2016 in den Bestand der Sammlung übernommen wurde. Ursi arbeitet hier in der strengen Farbkombination Weiß-Schwarz und erweitert ihr Formenrepertoire aus vegetabilen Fantasien erstmals um die Darstellung von Tieren. Aus den verknüpften Fäden entstanden Bären, Seepferdchen, Eulen, Elefanten, Fische, Vögel und anderes Getier, das sich zwischen einer urzeitlichen und einer Meeresflora tummelt. Erstaunlich ist das schlafende Baby in der Mitte des Bildteppichs. Ursi wagte sich hier zum ersten Mal an die Darstellung eines Menschen. Knüpft sie eine erste zarte Verbindung zu ihrer eigenen Lebensgeschichte? Die Künstlerin litt viele Jahre unter ihrer unglücklichen Kindheit und kam zu dem Schluss: „Das Kostbarste in meinem Leben ist das Kind, das ich einmal war …“. Ursi nennt ihr Tun „rettende Handarbeit“, denn ohne diese feinstoffliche Nadelarbeit, davon ist sie überzeugt, würde sie sterben.Bildnachweis: Ursi (Pseudonym), „Ursi 5“ [Wandteppich mit Pflanzen und Tieren], verschiedene Garne auf Stoff, gestickt, 36 x 53,5 cm, 2014 bis 2016, Inv. Nr. 8081/4(2016) © Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg
Die Sammlung Prinzhorn und ihre wechselvolle Geschichte
Mit der Sammlung Prinzhorn besitzt die Klinik für allgemeine Psychiatrie am Heidelberger Universitätsklinikum einen einzigartigen Kunstschatz. Die historische Sammlung Prinzhorn ist mit ca. 6.000 Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen und Textilarbeiten von Insassen psychiatrischer Anstalten aus der Zeit um 1900 die größte und vielfältigste Sammlung dieser Art weltweit. Sie entstand wesentlich aufgrund eines Aufrufs des Kunsthistorikers und Mediziners Hans Prinzhorn (1886-1933), der von 1919 bis 1921 Assistenzarzt an der Heidelberg Psychiatrie war. Auf Basis der Werke verfasste er seine Publikation „Bildnerei der Geisteskranken“ (1922). Über das Buch, das weniger Psychiater, sondern vor allem Kunstinteressierte und Künstler ansprach, erlangte die Sammlung große Bekanntheit. Bis 1930 wuchs die Sammlung weiter, dann wurde das Projekt eingestellt, es passte nicht zur Ideologie der Nazis. In der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ missbrauchte man einige Werke als Vergleichsmaterial zur Kunst der Moderne, nach 1945 war der Fundus dann lange Zeit vergessen. 1980 machte die Wanderausstellung „Die Prinzhorn-Sammlung“ diese erneut bekannt und es wurden auch wieder Werke nach Heidelberg geschenkt oder als Dauerleihgabe überlassen. Die seither entstandene, „neue Sammlung“, zu der auch Ursis Teppich zählt, umfasst mehr als 20.000 Gemälde, Zeichnungen, Plastiken und Textilarbeiten. Diese und die Werke der historischen Sammlung sind seit 2001 in einem eigenen Museumsgebäude untergebracht, in dem sie in wechselnden, thematischen Ausstellungen gezeigt werden.Museum Sammlung Prinzhorn Voßstraße 2 D-69115 Heidelberg
Öffnungszeiten Mo geschlossen Di bis So 11-17 Uhr Mi 11-20 Uhr
Öffentliche Führungen Mi 18 Uhr und So 14 Uhr
Kontakt Besucherinformation: +49 (0)6221 / 56-47 39 E-Mail: prinzhorn@uni-heidelberg.de http://www.sammlung-prinzhorn.de https://www.facebook.com/SammlungPrinzhorn/
Für Studierende der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ist der Eintritt frei.
Pressekontakt Friederike Rauch, friederike.rauch@med.uni-heidelberg.de, Tel. +49 (0)6221 / 56 4725