2.2.2024 Zum Gedenkjahr 1622/23: Restitution der Bibliotheca Palatina
In den letzten zwei Jahren hat die Universitätsbibliothek Heidelberg mit Veranstaltungen und Ausstellungen der 400-jährigen Wiederkehr der Eroberung Heidelbergs 1622 und der Wegführung der Bibliotheca Palatina 1623 gedacht. Höhepunkt war der in Kooperation mit der Heiliggeistkirche durchgeführte Festakt am 17. Februar 2023. Die Ausstellung „Bibliotheca Palatina – Mutter aller Bibliotheken“ ist weiterhin im Erdgeschoss der Hauptbibliothek in 4 Vitrinen zu sehen.
Ergänzt wurden die Veranstaltungen durch zwei Beiträge von Nicolas Schmitt (UB Heidelberg) im UB-Blog (2022/23), die, erweitert um einen neuen dritten Beitrag, nun zusammen gefasst und veröffentlicht wurden. Die ausführliche Fassung, die alle drei Beiträge mit Quellenbelegen und Literaturverweisen enthält, erreichen Sie über den beigefügten Link.
Der erste Beitrag (S. 1-4) zur Eroberung Heidelbergs im September 1622 berichtet von der Einnahme der pfälzischen Residenzstadt durch die Truppen der katholischen Liga am Anfang des 30-jährigen Kriegs. Der zweite Beitrag (S. 5-9) stellt die Inspektion der Bibliotheksbestände 1622 durch den päpstlichen Nuntius Leone Allacci sowie den Abtransport der wertvollen Bücher- und Handschriftensammlung über die Alpen nach Rom 1623 und die Integration der Bestände in die vatikanische Bibliothek in den Mittelpunkt.
Der dritte und letzte Beitrag (S.10-18), von dem hier berichtet werden soll, handelt von den teils erfolgreichen, teils erfolglosen Versuchen, die Bibliotheca Palatina wiederzugewinnen. Nicolas Schmitt spannt den Bogen über die Teilerfolge im 19. Jahrhunderts bis zu Restitutionsforderungen in der jüngsten Vergangenheit und endet mit der virtuellen Zusammenführung der Bibliothek als digitale Sammlung.
Dabei geht Schmitt von den Restitutionsforderungen anlässlich der erfolgreichen Palatinaausstellung 1986 aus, in deren Zusammenhang Forderungen aufkamen, die Exponate aus dem Vatikan, die auf den Emporen der Heiliggeistkirche aufgestellt waren, nicht mehr nach Rom zurück zu geben. Ein anlässlich dessen erstelltes Rechtsgutachten wies dies mit dem Argument zurück, das Kriegsbeuterecht zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges kannte keinerlei Einschränkungen für Kulturgüter. Eine vergleichbare Anfrage wiederholte sich im Jahr 2000. Erneut wurde Restitutionsforderungen eine Absage erteilt – dieses Mal vom Landtag Baden-Württemberg. Zuletzt wurde diese Position 2023 von der baden-württembergischen Landesregierung bekräftigt.
Anschließend untersucht Nicolas Schmitt die Restitution von Teilen der Bibliotheca Palatina als nationales Kulturgut im Zeitalter Napoleons. Die Entwicklungen und Kriege im nachrevolutionären Zeitalter an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bereiteten den Boden für die Rückkehr von Teilen der Sammlung. Getragen wurde dies von der neu aufkommenden Vorstellung der Unveräußerlichkeit nationalen Kulturerbes, die zu Beginn des 19 Jahrhunderts auch in deutschen Gelehrtenkreisen Anklang fand.
Die Restitutionsforderungen bezogen sich zunächst auf 39 Handschriften, die Napoleon aus Rom hatte nach Paris bringen lassen und die der Vatikan zurückforderte. Dies gab Gelegenheit zur Forderung nach Restitution eines weitaus größeren Teils der Palatina, nämlich der 847 deutschsprachigen Handschriften. Aufs Engste verknüpft war dieser Erfolg mit dem Agieren von Antonio Canova (1757–1822), der als Vertreter des Vatikans und weiterer italienischer Staaten in Paris für die Restitution der geraubten Kunstschätze eintrat sowie von Friedrich Wilken, dem UB-Direktor dieser Zeit. Wilken nutzte den günstigen Moment und überzeugte Canova als Unterhändler für die alten Heidelberger Rechte einzutreten. In seinem Beitrag präsentiert Schmitt den Entwurf eines Schreibens Canovas an den Kardinalstaatsekretär Ercole Consalvi (1757–1824), der sich in der Universitätsbibliothek Heidelberg erhalten hat.
Letztlich stimmte der Vatikan nicht nur der Restitution der 39 Handschriften aus Paris zu, sondern entsprach auch dem Wunsch nach Rückgabe der deutschsprachigen Handschriften nach Heidelberg. Papst Pius VII. wollte dies ausdrücklich als Zugeständnis für die nationale Bedeutung dieser Kulturgüter und deren hervorragende Bedeutung für die deutsche Literatur und Wissenschaft verstanden wissen. Am 8 Juli 1816 traf Wilken in Begleitung der ca. 1,5 Tonnen Material umfassenden Bestände in Heidelberg ein und konnte diese seiner Universität präsentieren.
Ergänzt wurde die Restitution der deutschsprachigen Handschriften 1888 durch die Wiedergewinnung des Codex Manesse (seit 2023 Teil des UNESCO Weltdokumentenerbes), der allerdings nie nach Rom transportiert worden war und bis dahin auch nicht zur Bibliotheca Palatina gehört hatte.
Der letzte Teil des Beitrags weitet den Blick auf die Digitalisierung als Überwindung nationaler Grenzen. An die Mikroverfilmung der 1950er bis 1980er Jahre schloss sich ab den frühen 2000er Jahren die Digitalisierung aller Handschriften der Sammlung an. Bis 2021 konnten insgesamt 3.582 Handschriften digitalisiert werden. Diese stehen jetzt weltweit und dauerhaft zur Verfügung, inkl. der vielen Mehrwerte, die die digitale Nutzung bietet. Mit der virtuellen Zusammenführung der auf Rom und Heidelberg verteilten Bestände sollte – so schließt der Beitrag – ein Schlussstrich unter weitere Restitutionsforderungen gezogen worden sein.