III. Die Entdeckung der höfischen Liebe
Die Trennung der Liebenden bei Tagesanbruch in Shakespeares „Romeo und Julia”
Romeo und Julia
Heimlich haben Romeo und Julia die Nacht miteinander verbracht. Der nahende Tag bringt den Kindern zweier verfeindeter Familien die Gefahr, entdeckt zu werden. Doch in der Hoffnung auf ein Herauszögern ihres Abschiedes fleht Julia: „Wilt thou be gone? It is not yet near day. It was the nightingale, and not the lark”.
Jene morgendliche Trennung zweier Liebender nach einer heimlich verbrachten Nacht ist Teil der Tageliedtradition, die in der Minnedichtung des hohen Mittelalters eine tragende Rolle spielt. Als lyrische Gattung ist sie seit dem zwölften Jahrhundert greifbar. Hier bietet sich die Möglichkeit zur Darstellung der erotisch-sexuellen Liebe, die im Minnesang sonst nur selten Ausdruck findet. Im Tagelied wird die Liebe tatsächlich vollzogen und bleibt nicht unerfülltes Begehren, allerdings verbindet es auch Liebesfreude mit Liebesleid. William Shakespeare (1564-1616) übernahm dieses Motiv der hochmittelalterlichen Tageliedminne für sein Drama „Romeo und Iuliet” aus den Werken des Renaissance-Poeten Francesco Petrarca (1304-1374).
III.15 William Shakespeare: Dicks' complete edition of Shakespere's works. With thirty-seven illustrations, and a memoir, London: John Dicks, nach 1880
UB Heidelberg, Waldberg 1259