Liebeslieder aus dem Codex Manesse
Walther von der Vogelweide
Walther von der Vogelweide galt schon seinen Zeitgenossen als einer der größten deutschen Dichter. Historisch ist er nur 1203 in einer Rechnung eines Gönners, des Bischofs Wolfger von Passau, zu fassen. Wahrscheinlich lebte er als fahrender Berufssänger.
Neben politischen und moralkritischen Strophen ist von ihm eine große Zahl an Minneliedern überliefert. Mehrmals thematisierte er das wahre Wesen der Liebe. Für Walther muss sie „durch zwei Herzen gehen”: Sie muss also auf Gegenseitigkeit beruhen.
Bin ich dir unmære (Bl. 132v)
Bin ich dir unmære,
des enweiz ich niht: ich minne dich.
einez ist mir swære,
dû sihest bî mir hin und über mich.
Daz solt dû vermîden,
ine mac niht erlîden,
selke liebe ân grôzen schaden,
hilf mir tragen, ich bin ze vil geladen.
Sol dâz sin dîn huote,
daz dîn ouge mich sô selten siht?
tuost dû daz ze guote,
sône wîze ich dir dar umbe niht.
Sô mît mir daz houbet,
daz sî dir erloubet,
und sich nider an mînen fuoz,
sô dû baz enmügest: daz sî dîn gruoz.
Swanne ichs alle schowe,
die mir suln von schulden wol behagen,
sô bist dûz mîn frowe.
daz mac ich wol âne rüemen sagen.
Edel unde rîche
sint si sumelîche,
dar zuo tragent si hôhen muot:
lîhte sint si bezzer, dû bist guot.
Frowe, dû versinne
dich, ob ich dir zihte maere sî.
eines friundes minne,
diu ist niht guot, dâ sî ein ander bî.
Minne entouc niht eine,
si sol sîn gemeine,
sô gemeine, daz si gê
dur zwei herze und durch dekeinez mê.
Bin ich dir gleichgültig,
so weiß ich davon nichts: Ich liebe dich.
Doch eines bereitet mir Kummer,
du siehst zu mir her und über mich hinweg.
Das sollst du nicht tun.
Ich kann solche Liebe
nicht erdulden, ohne großen Schaden zu nehmen.
Hilf mir, sie zu tragen, ich trage zu große Last.
Soll das aus Vorsicht sein,
dass du mich so selten ansiehst?
Tust du das im Guten,
dann tadele ich dich deshalb nicht.
Dann meide mein Antlitz,
es sei dir erlaubt,
und schau hinunter auf meinen Fuß,
wenn du mehr nicht tun kannst: Das sei dein Gruß.
Wenn ich sie alle betrachte,
die mir mit gutem Grund gefallen können,
dann bleibst doch immer du meine Herrin.
Das kann ich aufrichtig und ohne Selbstlob sagen.
Adlig und reich
sind manche,
und stolz sind sie dazu.
Vielleicht sind sie besser, doch du bist gut.
Herrin, denke doch nach,
ob ich dir irgendetwas bedeuten kann.
Die Liebe eines Liebenden
ist nicht gut, wenn nicht eine andere dabei ist.
Einseitige Liebe taugt nichts,
sie muss gegenseitig sein,
so gegenseitig, dass sie
durch zwei Herzen geht, aber durch keines mehr.