Liebeslieder aus dem Codex Manesse
Reinmar der Alte
Das Werk Reinmars des Alten gilt als ein Höhepunkt des Minnesangs im 12. Jahrhundert. Urkundlich ist über seine Person nichts bekannt. Reinmar war wohl ein Zeitgenosse Walthers von der Vogelweide, der ihm einen Nachruf widmete. Er starb im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts
In Reinmars programmatischem Lied klagt ein Mann über das Paradox seiner Liebe: Einerseits möchte er das gesellschaftliche Ansehen seiner Dame nicht gefährden. Andererseits wünscht er sich nichts mehr, als dass sie seine Bitten doch noch erhört
Swaz ich nu niuwer maere sage (Bl. 100v)
Swaz ich nu niuwer maere sage,
des endarf mich nieman vrâgen: ich enbin niht vrô.
die vriunt verdriuzet mîner klage.
des man ze vil gehoeret, dem ist allem sô.
Nû hân ich beidiu schaden unde spot.
waz mir doch leides unverdienet, daz bedenke got,
und âne schult geschiht!
ich engelige herzeliebe bî,
sône hât an mîner vröude nieman niht.
Die hôchgemuoten zîhent mich,
ich minne niht sô sêre, als ich gebâre, ein wîp.
si liegent und unêrent sich:
si was mir ie gelîcher mâze sô der lîp.
Nie getrôste sî dar under mir den muot.
der ungnâden muoz ich, unde des si mir noch tuot,
erbeiten, als ich mac.
mir ist eteswenne wol gewesen:
gewinne aber ich nu niemer guoten tac?
Sô wol dir, wîp, wie rein ein nam!
wie sanfte er doch z'erkennen und ze nennen ist!
ez wart nie niht sô lobesam,
swâ dûz an rehte güete kêrest, sô du bist.
Dîn lop mit rede nieman volenden kan.
swes dû mit triuwen pfligest wol, der ist ein saelic man
und mac vil gerne leben.
dû gîst al der welte hôhen muot:
maht ouch mir ein wênic vröide geben!
Zwei dinc hân ich mir vür geleit,
diu strîtent mit gedanken in dem herzen mîn:
ob ich ir hôhen wirdekeit
mit mînen willen wolte lâzen minre sîn,
Oder ob ich daz welle, daz si groezer sî
und sî vil saelic wîp bestê mîn und aller manne vrî.
siu tuont mir beide wê:
ich wirde ir lasters niemer vrô;
vergêt siu mich, daz klage ich iemer mê.
Ob ich nu tuon und hân getân,
daz ich von rehte in ir hulden solte sîn,
und sî vor aller werlde hân,
waz mac ich des, vergizzet sî darunder mîn?
Swer nu giht, daz ich ze spotte künne klagen,
der lâze im beide mîn rede singen unde sagen
und merke, wâ ich ie spreche ein wort,
ezn lige, ê i'z gespreche, herzen bî.
Was immer ich jetzt an Neuem sage,
danach darf mich niemand fragen: Ich bin nicht froh.
Die Freunde sind meiner Klage überdrüssig.
So ist es mit allem, wovon man zuviel gehört hat.
Nun habe ich sowohl den Schaden als auch den Spott.
Möge Gott anerkennen, was mir doch an unverdientem Leid
und ohne Schuld geschieht!
Wenn ich nicht bei der Herzliebsten liege,
dann hat niemand an mir Freude.
Die Frohgemuten beschuldigen mich,
ich würde diese Frau nicht so sehr lieben, wie ich vorgebe.
Sie lügen und mindern ihr eigenes Ansehen:
Sie bedeutete mir immer so viel wie mein Leben.
Dabei hat sie mich nie getröstet.
Diese Ungnade und alles, was sie mir noch antun wird,
muss ich hinnehmen, so gut ich kann.
Einstmals ging es mir gut:
Werde ich nun niemals mehr einen glücklichen Tag erleben?
Gepriesen seist du, ‚Frau’, was für ein makelloses Wort!
Wie wohltuend es doch ist, es auszusprechen und ihm Ehre zu erweisen!
Es geriet niemals etwas so lobenswert wie dort,
wo du es an jener wahren Güte teilhaben lässt, die du bist.
Niemand vermag dein Lob mit Worten vollständig zu beschreiben.
Wem immer du dich in Treue zuwendest, der ist ein glücklicher Mann
und kann mit Lust leben.
Du gibst der ganzen Welt Lebensfreude:
könntest auch mir ein wenig davon geben!
Zwei Dinge habe ich mir vorgelegt,
die liegen in meinem Herzen gedankenvoll im Widerstreit:
Ob es mein Wille sein könnte,
ihre hohe Würde mutwillig zu schmälern,
oder ob ich wollte, dass sie größer würde
und sie als glückselige Frau frei von mir und allen Männern bleibt.
Beides tut mir weh:
Über den Verlust ihres Ansehens könnte ich mich niemals freuen;
übergeht sie mich aber, so werde ich das immerzu beklagen müssen.
Wenn ich mich nun so verhalte und verhalten habe,
dass ich zu Recht in ihrer Huld stehen könnte,
und sie über alles in der Welt stelle,
was kann ich dann dafür, dass sie darüber mich vergisst?
Wer immer nun behauptet, ich klagte zum Scherz,
der lasse sich meine Worte vorsingen und -sagen
und merke sich, dass, wo immer ich ein Wort ausspreche,
– bevor ich es ausspreche – es an meinem Herzen gelegen ist.