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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek


14. Februar 1623: Leone Allacci und der Abtransport der Bibliotheca Palatina

Nicolas Schmitt, UB Heidelberg

Am 14. Februar jährt sich die Wegführung der Bibliotheca Palatina zum 400. Mal. Anlässlich dessen erinnern wir in einer Serie von Blogeinträgen an diesen zentralen Einschnitt für die Universitäts- und Bibliotheksgeschichte. Auf den Blog-Beitrag zur Eroberung Heidelbergs 1622 folgt heute der Beitrag zum Abtransport im darauf folgenden Jahr.

In Windeseile hatten sich die Nachrichten von der Einnahme Heidelbergs, die im September 1622 durch die Truppen des Feldherrn der Katholischen Liga, Johann T’Serclaes von Tilly (1559–1632) erfolgt war, bis an die Kurie verbreitet. Bereits einige Monate vor der Eroberung der pfälzischen Residenzstatt hatte man in Rom Schritte ergriffen, sich des wertvollsten Teils der Kriegsbeute zu versichern: der Bibliotheca Palatina. Um Initiativen des Kaiserhofs zuvorkommen, der ebenso um die wertvolle Büchersammlung buhlte, war die Kurie im Juli an Tilly selbst herangetreten, um ihre Ansprüche zu unterstreichen. Die erfolgreiche Belagerung Heidelbergs ermöglichte im Herbst 1622 schließlich die Umsetzung der päpstlichen Pläne.

Ein akribisch vorbereites Unternehmen

Der Fortführung der Bibliotheca Palatina nach Rom war ein enormes Unterfangen, zu dessen Zweck der aus Griechenland stammende Gelehrte und Bibliothekar Leone Allacci (um 1586–1669) nach Heidelberg entsandt wurde. Sein vordringlichstes Ziel sollte es sein, die Büchersammlung vor einer kriegsbedingten Zerstreuung zu bewahren sowie deren Unversehrtheit bis zur Ankunft in Rom zu gewährleisten. Die Weisungen, die Allacci bei seiner Abreise vom Verwalter der Vatikanischen Bibliotheken, Niccolò Alamanni (1583–1626), erhalten hatte, zeugen von der Gründlichkeit, mit der die Kurie den Abtransport der Bibliotheca Palatina vorbereitete. Allacci wurde instruiert, der Vollständigkeit der Büchersammlung besondere Aufmerksamkeit zu schenken; diese Forderung schloss die Suche nach entliehenen oder anderswo aufgestellten Büchern mit ein, nach denen der päpstliche Gesandte etwa das kurfürstliche Schloss durchforsten sollte. Weitere Anweisungen galten der Vorbereitungen des sicheren Abtransports der Palatina, die, den Vorstellungen der Kurie gemäß, wasserdicht in Holzkisten verpackt und im Rahmen einer großen Einzellieferung nach Rom übersandt werden sollte. Auch wurde Allacci ans Herz gelegt, nach Dokumenten Ausschau zu halten, die Aufschluss über die Zusammensetzung und historische Entwicklung der Buch- und Handschriftenbestände geben könnten. Dabei diente ihm das Verzeichnis, das der Heidelberger Bibliothekar Friedrich Sylburg (1536–1596) um 1584 angefertigt hatte und als Abschrift im Vatikan lag, als erste Orientierung über den Umfang zumindest der griechischen Bestände der Palatina. Vom Kardinalsekretär Ludovico Ludovisi (1595–1632) erhielt Allacci nochmals praktischere Anweisungen: Unterstützung sollte er insbesondere bei den katholischen Herrschern im Reich, allen voran dem bayerischen Herzog, finden. Um in den Kriegsgebieten des Heiligen Römischen Reichs möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sollte der Gesandte außerdem nicht im geistlichen Habit, sondern in weltlichen Gewändern – nach Art eines venezianischen Kaufmanns – reisen. Derartig instruiert brach Allacci am 28. Oktober 1622 in Rom auf.

Allaccis Reise und Ankunft in Heidelberg

Der Weg von Italien über die Alpen war beschwerlich. Gleich mehrfach musste Allacci seine Reise wegen schlechter Straßen und Witterungsverhältnisse unterbrechen; dazu trat die stete Gefahr, die von umherziehenden Soldaten oder der häufig feindseligen Bevölkerung drohte. Nach einem Aufenthalt am Hof des Herzogs Maximilian I. von Bayern (reg. 1597–1651) gelangte Allacci am 13. Dezember schließlich in Heidelberg an. Die Hauptstadt der Kurpfalz stand seit dem Sieg der Truppen der Katholischen Liga im September 1622 unter bayerischer Besatzung; das städtische Leben stand nach der Flucht der meisten Würdenträger weitgehend still. Unmittelbar nach seiner Ankunft machte sich Allacci daran, die verschiedenen Heidelberger Bibliotheken zusammenzutragen: Neben der eigentlichen Bibliotheca Palatina, die auf den Emporen der Heiliggeistkirche aufgestellt war, betraf dies Bestände aus dem kurfürstlichen Schloss, der Universität mit ihren Fakultäten sowie verschiedenen privaten Sammlungen. Hier machten die Bücher des Bibliothekars Jan de Gruytere (1560–1627) den bedeutendsten Teil aus. Allacci rühmte sich später, er sei gesandt worden, eine Bibliothek zu holen, er bringe aber drei.

Um sich selbst einen Überblick über die ungeordneten Bestände zu verschaffen, versah der Gesandte bereits zu frühem [oder „früh“] Zeitpunkt zahlreiche Bücher mit einer fortlaufenden Nummerierung, wobei die endgültige Systematisierung erst in Rom erfolgen sollte. Um das Gewicht der Ladung zu reduzieren, war der Gesandte angewiesen worden, die Holzdeckel zu entfernen. Einzige Ausnahme bildeten Einbände mit besonderen Verzierungen, Inschriften oder Wappendarstellungen. Verschont wurden etwa die aufwendigen ›Ottheinricheinbände‹, die unter Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz (reg. 1556–1559) angefertigt worden waren und in der Vaticana heute einen eigenen Sammlungsbereich bilden.

Abbildung: ›Ottheinricheinband‹ von UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 111.

Mit der Sicherstellung der Bücher hatte der päpstliche Gesandte allerdings nur den ersten Teil seiner Sendung erfüllt. Allaccis weitere Bemühungen konzentrierten sich in der Folge darauf, die Bestände für ihren Abtransport in Richtung Rom herzurichten – und mit diesem Schritt waren zahlreiche Schwierigkeiten verbunden. In der von den Kriegswirren versehrten Stadt war es dem Gesandten nur schwer möglich, an das dringend benötigte Personal und Material zu gelangen. Am 16. Januar 1623 schrieb Allacci an den Kardinalssekretär Ludovisi über die desolaten Zustände in Heidelberg (zit. n. Grafinger 2011, S. 349–351, hier: S. 351 – dt. Übersetzung: Wolfgang Metzger):

E cosa da non credere, che in questa città cosi fiorita altre vuolte, hora per la guerra non si truovi cosa nissuna. E primo si duro faticha di trovar li maestri, li quali ò non indendevano ò non volevano intendere il far delle casse a modo che potessero due di loro esser peso sufficiente a un mulo perche quà caricano in altra maniera. Trovati li maestri non erano tavole, onde bisogno che si pigliassero le scanzie della Libreria, le quali non bastando il Signor Decano diede delle tavole che nel Castello servivano per fodere delle Camere del Palatino.

Es ist unglaublich, dass man in dieser Stadt, die früher so in Blüte stand, heute durch den Krieg gar nichts mehr bekommt. Es ist zunächst eine schwere Aufgabe, Handwerker zu finden. Diese verstehen nicht, oder geben vor nicht zu verstehen, dass sie die Kisten so machen sollen, dass zwei von ihnen ein ausreichendes Gewicht für ein Maultier ergeben, denn hier werden sie zunächst anders verladen. Als die Handwerker gefunden waren, gab es keine Bretter, daher mussten wir die Bücherregale der Bibliothek nehmen. Als diese nicht ausreichten, hat der Herr Dekan Bretter zur Verfügung gestellt, die im Schloss die Zimmer des Pfalzgrafen auskleideten.

Die Heidelberger Stadtbevölkerung begegnete dem päpstlichen Abgesandten dabei mit wachsendem Misstrauen. Bereits zum Jahresende 1622 hatte sich der Bürger Johann Philipp Burckart (1592–1635) in einem Brief über das rücksichtslose Agieren Allaccis beklagt, der nicht einmal vor einer Zerstörung von Kirchmobiliar zurückschrecke, um an Holz zu gelangen: So ist auch ein Päbstischer Nuncius alhir, welcher die Curfürstliche Bibliotec nach Rom führen will. Die Schreiner müßen uff die hundert Kästen machen, und da sie nit bort genug, brechen sie die stühl in der kirchen zum Theil ab, welches wol zu erbarmen und zu beklagen (zit. n. Keunecke 1978, Sp. 1419f.). Gleich mehrfach entsandte Allacci Boten in die umliegenden Städte, um dort Material für die Kisten zu beschaffen, jedoch ohne Erfolg: Die Boten wurden entweder festgenommen oder verschwanden ohne jede weitere Spur. Obwohl täglich an den Vorbereitungen für den Transport gearbeitet wurden, verzögerte sich die Wegführung der Palatina bis in den Februar 1623.

Abtransport und Ankunft der Palatina in Rom

Erst am 14. Februar konnte der aus 50 Ochsenkarren bestehende Tross, eskortiert von Söldnertruppen, Heidelberg in Richtung Süden verlassen. Insgesamt handelte es sich um etwa 3.500 Handschriften sowie 12.000 gedruckte Bücher. Ein Transport auf dem Wasserweg kam wegen des strengen Winters, der den Neckar gefrieren ließ, nicht infrage. So blieb einzig der Landweg, der allerdings durch das Territorium des protestantischen Herzogs von Württemberg führte und deswegen größere Sicherheitsmaßnahmen notwendig machte. Nach einem ersten Halt in Neckarsulm stellte der Fürstpropst von Ellwangen weitere 20 Wagen zur Verfügung. Die nächsten größeren Stationen bildeten Aalen, Nördlingen, Donauwörth und schließlich München, wo Allacci am 27. Februar anlangte. Hier wurden die Bücherkisten auf Maulesel verladen, die geeigneter waren, die schwer passierbaren Alpenpässe zu überqueren. Inzwischen hatte der mittlerweile zum Kurfürst erhobene Maximilian I. von Bayern zudem fast 9.000 Exlibris anfertigen lassen, welche die Bücher als Kriegsbeute und Schenkung an das Papsttum auswiesen. Nach einem längeren Aufenthalt in München setzte Allacci am 26. April 1623 seinen Weg nach Italien fort.

Abbildung: Schenkungsexlibris Maximilians I. an den Papst. UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 669.

Die Reise des päpstlichen Gesandten zog sich über weitere dreieinhalb Monate hin; widrige Witterungsverhältnisse in den Alpen sowie Zollprobleme, die dem Tross bei seiner Ankunft in Mailand begegneten, führte zu Verzögerungen. Am 9. August 1623 erreichte Allacci den Sitz des Papstes in Rom, wo die Kisten vom Verwalter der Vatikanischen Bibliotheken, Niccolò Alamanni, in Empfang genommen wurden. Im Zuge des Auspackens der Bücher wurden zahlreiche von ihnen mit einer weiteren Nummer versehen: der sog. ›Capsa‹-Nummer, die sich nach der Kiste richtete, in welcher die Titel in Rom angelangt waren. Zahlreiche Bücher, die in Heidelberg ihrer Einbände beraubt worden waren, wurden in Rom neu eingebunden. Hierfür wählte man zumeist einfache Pergamenteinbände, die der Sammlung ein einheitliches Aussehen verliehen. Möglicherweise einer Intervention des bayerischen Kurfürsten ist es zu verdanken, dass die Palatina bei ihrer Einordnung in die Bestände des Vatikans nicht vollends zerstreut wurde – am 10. Mai schrieb der Fürst an den Kurienkardinal Eitel Friedrich von Hohenzollern (1582–1625), er halte es für

gar nit rathsamb, daß dieses berüembte Heidelbergische corpus durch solch vorhabend und ervolgende andere incorporation seinen bißhero in- und ausserhalb deß Teutschlandt gehabten grossen namen in so khurtzer Zeit ganntz verlieren und schwinden lassen müesste.

Demgegenüber schlug Maximilian I. vor, die Sammlung zu immerwehrender gedechntuß […] und mehrer propagation diser wider den Calvinischen geist und abgesagten feindt […] erhaltenen ansechenlichen victori (zit. n. Keunecke 1978, Sp. 1437f., hier: Sp. 1438) zu erhalten und als ›Bibliotheca Gregoriana‹ den vatikanischen Beständen hinzuzufügen. Es kam zu einer Zwischenlösung: Wenngleich der Vatikan sich dagegen entschloss, die Palatina als Einheit zu erhalten, wurden doch die Handschriften aus Heidelberg nach ihrer Sprache gesondert aufgestellt. Es entstanden die Signaturgruppen Cod. Pal. lat. (Codex Palatinus latinus), Cod. Pal. graec. (Codex Palatinus graecus), Cod. Pal. germ. (Codex Palatinus germanicus) sowie Cod. Pal. ebr. (Codex Palatinus ebraicus). Diese Signaturen haben sich bis heute erhalten – und überstanden somit auch die Teilrückkehr der deutschsprachsprachigen Bestände der Palatina am Anfang des 19. Jahrhunderts.

Weiterführende Literatur

Grafinger, Christine M., Ein Bibliothekstransport - ein logistisches Problem. Die Organisation des Transportes der Heidelberger Bibliothek nach Rom durch Leone Allacci während des Dreissigjährigen Krieges, Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae, Jg. 18 (2011), S. 343–382.

Keunecke, Hans-Otto, Maximilian von Bayern und die Entführung der Bibliotheca Palatina nach Rom, Archiv für Geschichte des Buchwesens, Jg. 19 (1978), Sp. 1401–1446.

Mittler, Elmar (Hg.), Bibliotheca Palatina. Katalog zur Ausstellung vom 8. Juli bis 2. November 1986 Heiliggeistkirche Heidelberg, Bild- und Textband (Heidelberger Bibliotheksschriften, Bd. 24), Heidelberg: Braus, 1986.

Preisendanz, Karl: Alte Versuche zum Wiedergewinn der Bibliotheca Palatina, Neue Heidelberger Jahrbücher N. F. (1954), S. 90–115.

Schottenloher, Karl, Bücher bewegten die Welt. Eine Kulturgeschichte des Buches, Bd. 2: Vom Barock bis zur Gegenwart, Stuttgart: Hiersemann, 1952.

Theiner, Augustin, Schenkung der Heidelberger Bibliothek durch Maximilian I. Herzog und Churfürsten von Bayern an Papst Gregor XV. und ihre Versendung nach Rom, München: Literarisch-artistische Anstalt, 1844.

Wilken, Friedrich: Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen. Nebst einem Verzeichniß der aus der pfaelzischen Bibliothek im Vatican an die Universität Heidelberg zurückgegebenen Handschriften, Heidelberg: Oswald, 1817.

Zimmermann, Karin, Einleitung, in: Dies. (Bearb), Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 1–181) (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg, Bd. 6), S. XI–XXVIII.

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