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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek


September 1622 – September 2022: 400 Jahre Eroberung Heidelbergs im Dreißigjährigen Krieg

Nicolas Schmitt, UB Heidelberg

Im September 2022 jährt sich die Eroberung Heidelbergs im Dreißigjährigen Krieg zum 400. Mal – ein Ereignis, das sich als besonders einschneidend für die Geschichte der Universität und ihrer bedeutendsten Büchersammlung, der Bibliotheca Palatina, erwies. Die Wiederkehr dieses folgenschweren Datums möchte die Universitätsbibliothek, die heute (erneut) einen Teil der damals nach Rom verschleppten Handschriften verwahrt, zum Anlass nehmen, an eine Episode ihrer wechselvollen Geschichte zu erinnern.

Ansicht der Belagerung und Einnahme der Stadt Heidelberg durch die Truppen der katholischen Liga im September 1622

Anfang des 17. Jahrhunderts bildete Heidelberg und die damals schon ehrwürdige Universität – mit ihrer Gründung 1386 die älteste derartige Institution auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands – ein intellektuelles und kulturelles Zentrum des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Die Strahlkraft der Hochschule reichte dabei bis weit über die Grenzen des landesfürstlichen Territoriums hinaus. Infolge des reformierten Bekenntnisses – einer besonders strengen Spielart des Protestantismus –, das die im Schloss hoch über den Dächern der Stadt residierenden pfälzischen Wittelsbacher nach einigen Wechseln schließlich angenommen hatten, kamen zahlreiche bedeutende Gelehrte in die Kurpfalz. So stammte bereits in der Frühen Neuzeit ein großer Teil der Studenten aus dem europäischen Ausland. Viele kamen aus den ebenfalls reformierten Regionen wie den Vereinigten Provinzen der Niederlande, der Eidgenossenschaft und Schlesien.

Heidelberg und der Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs (1618)

Die europäischen Verwicklungen des pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. (1596–1632, reg. 1610–1623) setzen der Blütezeit von Stadt und Universität allerdings ein jähes Ende. Die konfessionellen Fronten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hatten sich seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert zunehmend verhärtet, ohne dass die Reichsinstitutionen es vermocht hätten, die Spannungen aufzufangen. Seit 1609 standen sich mit der Protestantischen Union und der Katholischen Liga zwei Konfessionsbündnisse offen gegenüber. Die Kurpfalz nahm innerhalb der Union eine Führungsposition ein. Schlussendlich waren es allerdings die Verbindungen des jungen Kurfürsten ins protestantische Westeuropa, die sich als besonders riskant erwiesen: 1613 wurde ein Beistandspakt mit den Vereinigten Provinzen der Niederlande geschlossen. Im gleichen Jahr heiratete Friedrich V. die englische Königstochter Elisabeth Stuart (1596–1662) – noch heute zeugen die Überreste des Englischen Baus des Heidelberger Schlosses sowie des Schlossgartens, des Hortus Palatinus, von dieser prunkvollen Eheschließung.

Die ambitionierten, den Reichsverband häufig übersteigenden Zielsetzungen Friedrichs V. standen dabei in deutlichem Missverhältnis zu den beschränkten Mitteln der Kurpfalz. Als die gegen die Herrschaft der Habsburger rebellierenden Stände Böhmens dem Kurfürsten 1619 die Königskrone antrugen, entschied sich dieser entgegen aller mahnenden Stimmen zu deren Annahme – mit verhängnisvollen Folgen. Bedrängt durch kaiserliche und katholische Truppen versagten die Verbindungen der Kurpfalz nach Westeuropa. Ohne Unterstützung der Protestantischen Union sowie der englischen Verwandtschaft wurde Friedrich V. in der ›Schlacht am Weißen Berg‹ (1620) vernichtend geschlagen. Seine kurze Herrschaft über Böhmen brachte ihm den Spottnamen ›Winterkönig‹ bei. Es folgte ein Abstieg, der mindestens genauso schnell vonstattenging wie der kometenhafte Aufstieg des Kurfürsten: Friedrich V. verlor die böhmische Königskrone und musste mit seiner Familie in die Niederlande fliehen. Im folgenden Jahr verhängte Kaiser Ferdinand II. (1578–1637, reg. 1619–1637) über ihn die Reichsacht – dem Kurfürsten wurden alle Titel, Herrschaftsrechte und Güter entzogen. Parteigängern des flüchtigen Pfalzgrafen drohten schwere Sanktionen.

Ansicht der westlichen Verteidigungsanlagen Heidelbergs

Gleichzeitig stieß das Heer der Katholischen Liga unter Führung von Johann T’Serclaes von Tilly (1559–1632), unterstützt durch spanische Truppen, in die Kurpfalz vor. Konfrontiert mit der Gefahr, die aus der direkten Nachbarschaft drohte, wurden bis 1622 verzweifelte Versuche unternommen, die Heidelberger Stadtbefestigung zu verstärken. Pläne zur Verlegung der Universität in eine andere Stadt, wie es zuvor schon mehrfach zu Zeiten der Pest gehandhabt wurde, wurden nicht realisiert.

Im Juli 1622 stand Tilly schließlich vor den Stadttoren Heidelbergs. Da mehrere Einnahmeversuche der katholischen Seite am Widerstand der Verteidiger scheiterten, zu denen auch zahlreiche Studenten der Universität zählten, zog sich die Belagerung über Wochen hin. Erst im September begann sich das Blatt zugunsten Tillys zu wenden: Verstärkt durch Nachschub, den der Bischof von Speyer der Katholischen Liga in Form bewaffneter Untertanen und Soldaten zur Verfügung stellte, gelang es dem Feldherren, die Stadt am 16. September zu erobern. Drei Tage später kapitulierte das Schloss, wo sich die letzten Kräfte verschanzt hatten. Die Kurpfalz ging in die Besatzung Maximilians II. von Bayern (1573–1651, reg. 1597–1651) über, dem Kaiser Ferdinand II. 1623 zusätzlich die pfälzische Kurwürde übertrug.

„Zerstorben ist die Universität“ – Die Universität Heidelberg unter bayerischer Besatzung (ab 1622)

Stadtansicht Heidelbergs von Norden

Die Matrikelbände – die Aufzeichnung der Einschreibungen an der Universität Heidelberg – zeichnen ein düsteres Bild von den äußeren Bedingungen des Hochschulbetriebs zur Zeit der bayerischen Besatzung. Lag die Zahl der Immatrikulationen in der unmittelbaren Vorkriegszeit noch bei über 200 pro Jahr, begann der Zuzug mit Beginn der 1620er-Jahre schlagartig zu versiegen; im Verlauf des Jahres 1623 (das nun erstmals nach dem Gregorianischen Kalender der katholischen Seite gerechnet wurde) schrieben sich einzig zwei Studenten an der Universität ein, die zudem beide aus dem Heidelberger Umland stammten. Die Matrikel vermerkte nüchtern:

Peregre hoc advenerunt nulli, cum etiamnun res essent turbatissimae et Heidelberga valido praesidio sexcentorum circiter militum teneretur. – ›Aus der Fremde kam dieses Jahr niemand, weil die Dinge noch immer ausgesprochen stürmisch stehen und Heidelberg unter der festen Besatzung von etwa sechshundert Soldaten steht‹.

Deutlich emotionalere Worte fand dagegen der Heidelberger Professor für Rhetorik Konrad Schoppe (1575–1635) in einem Brief an seinen Kollegen Jeremias Hölzlin (1583–1641: Dissipatur academia, ut vix rudera videas. Studiosi omnes digressi, dilapsi, disiecti. – ›Die Universität ist [so] zerrissen, dass du kaum Ruinen erkennen kannst. Alle Studenten sind zertrennt, entschwunden, zerstreut‹.

Seit der Eroberung Heidelbergs ruhte der Lehrbetrieb weitgehend. Darüber hinaus verfolgte die bayerische Besatzungsmacht eine rigide Politik der Rekatholisierung: Anfang 1623 mussten alle evangelischen Geistlichen Heidelberg verlassen; das Jahr 1626 schließlich besiegelte das Ende der alten Universität – erst drei Jahre später erfolgte eine Neuaufnahme des Hochschulbetriebs, diesmal allerdings unter streng katholischer Federführung. Die Geschichte der reformierten Universität Heidelberg hatte vorerst ein Ende gefunden.

Falls Sie mehr über Ereignisse rund um die Eroberung Heidelbergs im September 1622 und darüber hinaus erfahren wollen, empfehlen wir Ihnen einen Besuch des Kurpfälzischen Museums Heidelberg. Ab dem 18.09.2022 erwartet Sie dort die Ausstellung ›Krieg und Frieden. Konfliktarchäologie an Rhein und Neckar‹, die von einem reichen Veranstaltungsprogramm begleitet wird.

Bildnachweise

ISSELBURG, Peter (1580–1630): Ansicht der westlichen Verteidigungsanlagen Heidelbergs [heutiger Bismarckplatz], Radierung auf Papier, um 1630, 30,9 x 19,8 cm; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, Graph. Slg. A_0010, heidICON.

MERIAN, Matthaeus, der Ältere (1593–1650): Stadtansicht Heidelbergs von Norden, Radierung auf Papier, 1620, Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, Graph. Slg. I,63, heidICON.

Ansicht der Belagerung und Einnahme der Stadt Heidelberg durch die Truppen der Katholischen Liga im September 1622, Radierung auf Papier, o. J., 46,8 x 30,2 cm, Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, Graph. Slg. A_0006, heidICON.

Quellenachweise

TOEPKE, Gustav (Hrsg.): Die Matrikel der Universität Heidelberg, Bd 2: Von 1554–1662, Heidelberg: Winter, 1886 [Link auf HEIDI].

WINKELMANN, Eduard (Hrsg.): Urkundenbuch der Universitaet Heidelberg, Bd. 1: Urkunden, Heidelberg: Winter, 1886 [Link auf HEIDI].

Weiterführende Literatur

CASSELMANN, Carsten/STRAßBURGER, Martin: »›Das haben wir eingenommen, ...‹. Der ›Tilly-Fund‹ und Spuren der Belagerungen Heidelbergs im 17. Jahrhundert«, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Jg. 40, H. 2 (2011), S. 74–78 [Downloadlink via journals.ub.uni-heidelberg].

MITTLER, Elmar/WERNER, Wilfried: Mit der Zeit. Die Kurfürsten von der Pfalz und die Heidelberger Handschriften der Bibliotheca Palatina, Wiesbaden: Reichert, 1985, insb. S. 37–46. [LINK auf HEIDI].

WOLGAST, Eike: Die Universität Heidelberg 1386–1986, Berlin [u.a.]: Springer 1986 [LINK auf HEIDI].

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