Nicolas Schmitt, UB Heidelberg
Am 09.07.2022 jährt sich der Antritt Kuno Fischers (1824–1907) als ordentlicher Professor am Philosophischen Seminar der Universität Heidelberg zum 150. Mal. Mit seiner Berufung schloss sich ein Kreis, denn fast 20 Jahre zuvor hatte ein Skandal die Lehrtätigkeit Fischers an der Ruperto Carola jäh beendet. Anlässlich dieses Jubiläums gedenkt die Universitätsbibliothek Heidelberg, die seinen Nachlass verwahrt, dem bedeutenden und streitbaren Philosophen.
Geboren wurde Fischer am 23. Juli 1824 im schlesischen Sandewalde (heute: Sądowel, Polen) in ein evangelisch-bürgerliches Elternhaus und studierte ab 1844 die Fächer Philologie, Philosophie, Theologie an den Universitäten Leipzig und Halle-Wittenberg. Im Jahr 1847 promovierte Fischer über den ›Parmenides‹, ein Werk Platons, das in Form eines fiktiven Dialogs zwischen Platons Lehrer Sokrates und dem Philosophen Parmenides geschrieben wurde. Fischers Dissertationsschrift erschien erstmals 1849 in lateinischer Sprache als De Platonico Parmenide. Von 1848 bis 1850 arbeitete er als Hauslehrer in Pforzheim. Am 26. Oktober 1850 habilitierte sich Fischer an der Universität Heidelberg und trat anschließend eine Stelle als Privatdozent an.
Bereits 1853 fand Fischers Lehrtätigkeit allerdings ein jähes Ende. In kürzester Zeit stand der Philosoph im Mittelpunkt eines Streits, dessen Auswirkungen bald bis nach Berlin reichten und fast in einer Intervention des preußischen Königs zugunsten Fischers gegipfelt wären. Den Ausgangspunkt bildete der erste Band seiner Geschichte der neuern Philosophie von 1852, in der sich der Philosoph wohlwollend über eine pantheistische Weltbetrachtung geäußert hatte. Scharfer Gegenwind schlug Fischer nun aus kirchlichen Kreisen entgegen: Hier war es in erster Linie der Heidelberger Seminardirektor und Universitätsprediger Daniel Schenkel (1813–1885), der sich in mehreren, teils anonym veröffentlichten Streitschriften gegen die Thesen Fischers wandte und diesen mit scharfer Polemik überzog. Die Vorwürfe steigerten sich immer weiter: Fischer wurde beschuldigt, selbst Atheist zu sein und in seinen Lehrveranstaltungen atheistisches Gedankengut zu verbreiten. Der Philosoph zeigte sich streitbar und versuchte sich mit mehreren Verteidigungsschriften – so etwa die beiden Publikationen Das Interdict meiner Vorlesungen und Die Apologie meiner Lehre von 1854 – gegen die herbe Kritik der Kirche zu wehren, doch hatte der Streit bald auch die Politik erreicht: Die landeskirchlichen Behörden übten zusehends Druck auf das Innenministerium des Großherzogtum Badens aus, sodass Fischer am 1. Juli 1853 durch ein Ministerialreskript ohne Angabe weiterer Gründe die Lehrerlaubnis entzogen wurde.
Seiner institutionellen Zugehörigkeit beraubt, widmete sich der Philosoph von 1853 bis 1856 Eigenstudien. Als Fischer sich im Jahr 1856 an der Universität Berlin umhabilitieren wollte, legte der preußische Kultusminister Karl Otto von Raumer (1805–1859) dagegen Veto ein. Obwohl ihm kurz darauf eine königliche Kabinettsorder den Dienstantritt als Privatdozent ermöglicht hätte, folgte Fischer im Dezember 1856 einem Ruf an die Universität Jena. Bis 1872 hatte Fischer hier eine ordentliche Professur inne. Im gleichen Jahr kehrte er an die Universität Heidelberg zurück, wo Fischer als Nachfolger Eduard Zellers (1814–1904) bis 1906 Philosophie lehrte. Ein Jahr später starb der Philosoph und wurde auf dem Bergfriedhof in Heidelberg beigesetzt.
Die größte Wirkung entfaltete Fischer im Bereich der Philosophiegeschichte: Bis heute sticht seine monumentale achtbändige Geschichte der neuern Philosophie heraus, in der es ihm gelang, große Entwicklungslinien des philosophischen Denkens bis Francis Bacon zu zeichnen. Daneben war der Philosoph als begnadeter Redner bekannt. Die Vorlesungen Fischers übten weit über die eigentlichen Grenzen des Philosophischen Seminars eine starke Anziehungskraft aus und bildeten über viele Jahre hinweg ein gesellschaftliches Ereignis, an dem auch die Heidelberger Stadtbevölkerung teilnahm. Über den Besuch einer seiner Lehrveranstaltungen, bei der die Zuhörer aus Platzmangel wie so häufig bis in den Gang stehen mussten, berichtet der Student Karl Jaspers (1883–1969), der später selbst als Philosoph internationale Bedeutung erlangen sollte:
„Er [= Kuno Fischer] sprach ohne Manuskript, bis in jede Nuance vorbereitet, bis in die Gebärde abgestimmt, einen Schlüssel zwischen den Fingern bewegend. Die Diktion war spannend, kein Satz verfehlt. Jedesmal hatte der Student eine meisterhafte Leistung vor sich. […] Die Aura noch um den greisen Kuno Fischer war wie ein letzter Abglanz der klassischen Zeit.“ (JASPERS 1961, S. 1)
Die Abteilung „Historische Sammlungen“ der Universitätsbibliothek Heidelberg verwahrt aus dem Nachlass Fischers verschiedene Manuskripte und gedruckte Ausgaben seiner Werke. Daneben findet sich dort der reichhaltige Briefwechsel des Philosophen an Familienmitglieder und Fachkollegen. Weiterführende Hinweise zum Nachlass finden sich auch in der Datenbank Kaliope.
Bildnachweis
Fotografie von Ernst Kuno Berthold Fischer (1824–1907), 24,7 x 32,1 cm; Standort: Universitätsbibliothek Heidelberg, Graph. Slg. P_0071, heidICON
Weiterführende Literatur
Drüll, Dagmar: Art. Fischer, Ernst Kuno Berthold, in: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803–1932, 2. Aufl., Wiesbaden: Springer 2019, S. 245–247.
Jaspers, Karl: Heidelberger Erinnerungen, in: Heidelberger Jahrbücher 5 (1961), S. 1–10.
Schneider, Ulrich J.: Spinozismus als Pantheismus. Anmerkungen zum Streitwert Spinozas im 19. Jahrhundert, in: Caysa, Volker/Eichler, Klaus-Dieter (Hgg.): Praxis – Vernunft – Gemeinschaft. Auf der Suche nach einer anderen Vernunft, Weinheim: Athenäum 1994, S. 163–177.
Selow, Edith: Art. Fischer, Kuno, in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 199.