In einem gemeinsamen Projekt der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Mainz und der Universitätsbibliothek Heidelberg werden die etwa 850 erhaltenen Handschriften des ehemaligen Mainzer Kartäuserklosters auf dem Portal Bibliotheca Cartusiana Moguntina – digital virtuell zusammengeführt. Die Bestände sind auf Bibliotheken in Mainz, London, Oxford und nach derzeitigem Kenntnisstand 19 andere Orte verstreut. Die Überlieferung eines solch vollständigen Ensembles ist überaus selten. Noch wertvoller wird die Sammlung durch den Erhalt eines spätmittelalterlichen und eines frühneuzeitlichen Katalogs.
Mit 624 Bänden befindet sich der weitaus größte Teil heute in der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek. Die wissenschaftliche Beschreibung der Handschriften erfolgt durch Spezialisten in Mainz. Die Universitätsbibliothek Heidelberg übernimmt die Digitalisierung, die Herstellung digitaler Ausgaben sowie den Aufbau der virtuellen Bibliothek mit vielfältigen Anzeige- und Suchmöglichkeiten. In der ersten Projektphase, die bis Ende Januar 2023 geht, werden die ersten 310 Kartause-Handschriften aus dem Bestand der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek digitalisiert. In der zweiten Phase bis 2026 folgt die Digitalisierung der übrigen 314 Mainzer Handschriften sowie der Streubestände. Die Bestände werden mit speziellen Kunsttransporten in Tranchen zu 50 Stück halbjährlich nach Heidelberg gebracht. Während die Digitalisierung mit Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erfolgt, ist der Transport eine Eigenleistung der Universitätsbibliothek Heidelberg.
Innerhalb der Büchersammlung des 1320 gegründeten und 1781 aufgehobenen Mainzer Kartäuserklosters lassen sich drei Teile unterscheiden. Der mit Abstand größte Teil war die eigentliche Klosterbibliothek mit patristischen und scholastischen Abhandlungen, Predigtsammlungen, Werken zum kanonischen Recht, zu Philosophie, Medizin, Naturkunde, Philologie, Rhetorik, Grammatik und lateinischer Dichtung. Der zweite Teil, die Chorbibliothek, umfasst im Wesentlichen Bücher für den Gottesdienst. Eine Besonderheit ist drittens die katholische Laienbibliothek, eine Sammlung überwiegend volkssprachlicher Bücher, die nicht für die Mönche, sondern für die dem Kloster zugeordneten Konversen und Donaten vorgesehen war. Da die Kartäusermönche in ihren Kartausen in Abgeschiedenheit lebten, war die Bibliothek von Beginn an als Ausleihbibliothek konzipiert.
Ein in der Zwischenzeit berühmt gewordenes Highlight der Sammlung ist ein Sensationsfund von 1990 mit Predigten des Kirchenlehrers Augustinus (354-430), die zwischen 1470 und 1475 nach einer Lorscher Vorlage aufgeschrieben wurden (Hs I 9). Von diesen Predigten waren 26 an anderen Orten entweder gar nicht oder höchstens fragmentarisch erhalten. Vor dem Hintergrund des Verlusts von über 90 Prozent der antiken Literatur sind derartige späte Funde von überragender Bedeutung für die in diesem Fall philologische, philosophische und theologische Forschung.
Die Digitalisierung schließt an bereits abgeschlossene erfolgreiche Rekonstruktionen von Handschriftensammlungen an, die die Universitätsbibliothek Heidelberg u.a. mit der Virtuellen Klosterbibliothek Lorsch und der Sammlung Bibliotheca Palatina - digital in den letzten 20 Jahren durchgeführt hat. Die Digitalisierung der Mainzer Handschriften verläuft nach Plan. Derzeit sind bereits 212 Bände zugänglich. In der zweiten Projektphase sollen neben der Digitalisierung der übrigen Bestände auch die Suchmöglichkeiten auf der virtuellen Plattform Bibliotheca Cartusiana Moguntina – digital weiterentwickelt werden.
Über den erfolgreichen Fortschritt des Projekts, von dessen Relevanz auch die hohen Downloadzahlen auf die bereits weltweit frei zugänglich gemachten digitalen Faksimiles zeugen, berichteten zuletzt, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (9.5.2022), der Südwestrundfunk in Aktuell Rheinland-Pfalz (9.5.2022, Min. 22.04 - 22:55) sowie die Mainzer Allgemeine Zeitung (12.5.2022).