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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek


Leihfristende nach über 260 Jahren – was am 24. Februar 1881 in Heidelberg geschah

Darstellung von Lycophron (links), Autor des Textes „Alexandra (Casandra)“, und Isaac Tzetzes (rechts), der die Scholien (Kommentare/Erklärungen) zu dem Werk verfasst hat.

Heute vor 140 Jahren fand ein lange ersehntes Wiedersehen statt: Drei griechische Handschriften kehrten nach jahrhundertelanger Absenz in die Heidelberger Bibliothek zurück. Dem Abtransport der meisten Bücher der Bibliotheca Palatina nach Rom im Jahr 1623 entgingen sie, weil sie schon 1620 ausgeliehen worden waren: Der Wittenberger Griechischprofessor Erasmus Schmidt hatte sich die Bücher mit der Signatur 18, 264 und 272 unter Vermittlung des Buchhändlers Zacharias Schürer kommen lassen, um mit ihrer Hilfe einen Kommentar zu Lycophrons "Alexandra" zu verfassen.

Dieses Werk, ein dramatischer Monolog der Trojanerin Kassandra, ist in allen drei Handschriften vorhanden, versehen mit den Scholien des Isaac Tzetzes. Cod. Pal. graec. 18 enthält darüber hinaus unter anderem Werke von Aischylos, Hesiod und Euripides und zeichnet sich ferner durch Miniaturen aus. Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass der geplante Kommentar jemals fertiggestellt worden ist. Schmidt starb 1637.

Der Verbleib der drei Handschriften dürfte damals in Heidelberg unbekannt gewesen sein, da die Ausleihscheine mit der restlichen Bibliothek nach Rom gewandert und zudem fehlerhaft waren. Die drei Handschriften kamen danach in die Bibliothek der Wittenberger Universität, wo sie im Katalog von Andreas Sennert aus dem Jahr 1678 zuerst erfasst sind. Bei der Zusammenlegung der Universitäten Wittenberg und Halle 1817 verblieben sie als philologische Werke zunächst im neugegründeten Predigerseminar zu Wittenberg und wurden 1862 nach Halle verkauft. 1879 entdeckte der dortige Unterbibliothekar Oscar von Gebhardt die Heidelberger Provenienz. Dann ging alles ganz schnell: Am 24. Februar 1881 kehrten sie nach über 260jähriger Abwesenheit nach Heidelberg zurück. Dies dürfte eine der längsten Leihfristen deutscher Bibliotheksgeschichte gewesen sein. Aber wenn bisher keine Überziehungsgebühren erhoben wurden, wird das auch nicht mehr geschehen – der Fall ist schließlich verjährt.

Die 423 erhaltenen griechischen Handschriften der Bibliotheca Palatina werden seit November 2018 an der Universitätsbibliothek Heidelberg in einem von der Polonsky-Foundation finanzierten Projekt wissenschaftlich erschlossen. Neben den eigentlichen Inhalten geht es hier auch darum, die teilweise recht ereignisreiche Geschichte der Handschriften zu erforschen.

Vinzenz Gottlieb, UB Heidelberg

Abbildung: Darstellung von Lycophron (links), Autor des Textes „Alexandra (Kassandra)“, und Isaac Tzetzes (rechts), der die Scholien (Kommentare/Erklärungen) zu dem Werk verfasst hat (UB Heidelberg, Cod. Pal. graec. 18, fol. 96v).

Literatur zum Thema:

  • Bibliothecae academiae Wittebergensis publicae, librorum quà 1. theologicorum 2. iuridicorum 3. medicorum 4. philosophicorum 6. orientalium 2. & qui noviter huic de anno LXXII accesserunt, è veteribus recentioribusque, &c. extantiores classicique ferè, usui academico eidemque privato publicoque exhibiti: editore Andrea Sennerto, Wittenberg 1678, S. 19 und 23

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