II. Wie lernt man zeichnen?
Freies Zeichnen
„Nichts lehren, nichts lernen! Wachsen lassen aus eigener Wurzel!“ Dies, so erinnert der Schriftsteller und Verleger Wolfgang Rochowanski, sei „heiligster Grundsatz“ des Wiener Zeichenlehrers und Kinetisten Franz Čižek gewesen. Čižek steht damit exemplarisch für eine neue Generation seines Berufsstandes, die gerade den Unterricht der Kleinsten programmatisch offen gestaltete und von allen Elementen der Disziplinierung, Reglementierung und Konditionierung zu befreien suchte. Den Kindern sollte es dadurch ermöglicht werden, ihre angeborene Kunst- und Ausdruckskraft eigenständig zu entwickeln. Inspiriert wurden derartige Ansätze besonders von amerikanischen Entwicklungspsychologen und Forschungen zur Kinderkunst in der Nachfolge von Corrado Riccis L'arte dei bambini (1887).
Franz Čižek (1865 – 1946) war Leiter der Jugendkunstklasse an der Wiener Kunstgewerbeschule und gab zudem Fachkurse für reformorientierte Kunstpädagogen. Auf Basis dieser Kurse entstand das von Kastner bearbeitete Buch Das Freie Zeichnen. Im Zentrum der Publikation steht daher nicht allein die Förderung der autonomen und fantasievollen Kinderzeichnung, sondern auch eine variable, für Gewerbe und Fachschulen konzipierte „Systematik des Naturzeichnens“. Ziel ist es, die „Bildung des Auges, Ertüchtigung der Hand, Pflege des Schönheitssinnes und Kultur des Ausdruckes“ nachhaltig zu befördern.
II.9.1
Franz Čižek / Hermann Kastner
Das freie Zeichnen, Wien: Schroll 1925
Privatsammlung