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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek

Rituale und die Ordnung der Welt – Darstellungen aus Heidelberger Handschriften und Drucken des 12. bis 18. Jahrhunderts

Ausschnitt aus Cod. Pal. germ. 353, fol. 67rRituale ordnen die Welt. Jede Gesellschaft vergewissert sich fortlaufend der Gültigkeit von Werten und Normen durch symbolisches Handeln, das diese Ordnungsvorstellungen sinnlich wahrnehmbar macht. Noch offensichtlicher als in modernen Kulturen gilt diese Leithypothese des Heidelberger SFB 619 „Ritualdynamik“ für die europäische Vormoderne, in der das Zusammenleben der Menschen nur selten durch geschriebene Verfassungen und Gesetzesbücher geregelt war.

In der vormodernen Welt waren die herrschenden Eliten damit auf die stete Veranschaulichung ihrer Macht angewiesen. Rituale, so der Konsens breiter interdisziplinärer Forschungen der letzten Jahrzehnte, werden daher nicht länger als schmückendes Beiwerk politischer Entschlüsse und militärischer Entscheidungen gedeutet. Stattdessen sind sie in den Blick gerückt als Schlüssel für das Verständnis europäischer Gesellschaften der Vormoderne.

Die Bedeutung der Rituale in den aktuellen Kulturwissenschaften findet Entsprechung in der Aufmerksamkeit, die ihnen schon die Zeitgenossen schenkten. In liturgischen Ordines und weltlichen Zeremonialbüchern trafen sie detaillierte Absprachen über das einzuhaltende Protokoll. In Chroniken und Diarien hielten sie den zeremoniellen Ablauf politischer Großereignisse für Zeitgenossen wie Nachkommen fest. In moralisch-didaktischen und literarischen Werken beschrieben sie ihre Idealvorstellungen von Form und Funktion der Rituale. Auch und gerade in Bildern wurden die symbolischen Akte dargestellt. Die in diesem Katalog dokumentierte Ausstellung nimmt daher die Macht des Rituals in Politik, Religion, Gesellschaft und Recht am Beispiel von Zeichnungen, Holzschnitten und Stichen aus den Tresoren der Universitätsbibliothek Heidelberg in den Blick.

Rundgang durch die virtuelle Ausstellung

Die Exponate

Die 41 Exponate aus der reichen Heidelberger Sammlung umfassen Werke des 12. bis 18. Jahrhunderts. Als älteste Stücke werden das „Heidelberger Rolandslied“ (HinweisNr. II.2: um 1200) und der Sachsenspiegel (HinweisNr. I.8: Anfang 14. Jahrhundert) gezeigt, die beide seit dem Spätmittelalter als Teil der Bibliotheca Palatina, der pfalzgräflichen Büchersammlung, überliefert sind. Da die Sammelleidenschaft der Pfalzgrafen bei Rhein und ihrer Ehefrauen im 15. Jahrhundert einen Höhepunkt erreichte, liegt auch der Schwerpunkt der Ausstellung auf der Wende zwischen Mittelalter und Neuzeit. Mehrere Exponate stammen aus professionellen Handschriftenmanufakturen dieser Zeit: Allein fünf Codices kommen aus der schwäbischen Werkstatt um den Schreiber Ludwig Henfflin, die in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts wohl ausschließlich im Auftrag von Margarethe von Savoyen arbeitete (HinweisNr. II.8, HinweisII.13, HinweisIV.3, HinweisIV.8). Zwei Exponate stammen aus der äußerst produktiven Hagenauer Werkstatt Diebold Laubers (HinweisNr. II.9, HinweisIV.7), der heute noch nahezu 80 Handschriften zugeordnet werden können.

Den Umbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit markiert nicht zuletzt Gutenbergs bahnbrechende Erfindung der beweglichen Lettern. Rasant eroberten seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts reich bebilderte Druckwerke den Buchmarkt. Unter den in der Ausstellung präsentierten Frühdrucken des 15. und 16. Jahrhunderts finden sich mehrere „Bestseller“ ihrer Zeit, allen voran Werke der Geschichtsschreibung – darunter gleich zwei Ausgaben der „Chronik des Konstanzer Konzils“ von Ulrich von Richental (HinweisNr. II.5, HinweisII.10) –, juristische „Sachbücher“ für Laien (HinweisNr. IV.2, HinweisIV.5) oder religiös-didaktische Literatur (HinweisNr. II.14, HinweisIII.2). Auch das jüngste Stück der Ausstellung, der im Jahr 1775 publizierte „Weisskunig“ (Nr. I.1), verweist in die Frühe Neuzeit: Für die Illustrationen griff der Wiener Verleger Kurzböck auf die originalen Druckplatten zurück, die der Maler Hans Burgkmair zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Auftrag Kaiser Maximilians I. für dieses unvollendete Werk geschaffen hatte. Gerade für die Bedeutung der Rituale für das Königtum über den Epochenwechsel hinaus verzichten Katalog und Ausstellung jedoch nicht auf den reichen Bilderschatz des 17. und 18. Jahrhunderts, der mit insgesamt sieben Exponaten vertreten ist.

Mit Teufeln oder Heiligen fallen dem heutigen Betrachter auf den in der Ausstellung versammelten Exponaten immer wieder fiktionale Momente auf den Illustrationen ins Auge, die die Grenze zwischen „Ritualdarstellungen“ und „Sinnbildern“ verschwimmen lassen (HinweisNr. II.14, HinweisII.15). Aus der Schedelschen Weltchronik etwa wird ein „Bild“ der Ständegesellschaft präsentiert, das nur als Allegorie zu deuten ist: Nach der in der Darstellung illustrierten Quaternionentheorie war das Reich nicht nur durch sein Oberhaupt, den Kaiser, sondern ebenso durch seine Glieder repräsentiert, symbolisch vergegenwärtigt durch zehn Vierergruppen der Stände (Hinweisvgl. Nr. I.7). Dass Rituale die Welt ordnen, wie die Ausstellung im Titel behauptet, ist trotzdem nicht als Metapher zu verstehen. Rituale konstituierten insofern „soziale Realität“, als die Handlungen selbst bewirken, was sie darstellen. Der Gestus der Unterwerfung oder des Handschlags etwa setzte einen Friedensschluss nicht nur öffentlich in Szene. Stattdessen machten diese Rituale die gegenseitige Verpflichtung auf Gewaltverzicht erst verbindlich.

Diese spezifische Wirkkraft der Rituale entpuppt sich als ein auch aktuell zu beobachtendes Phänomen, das ihre Erforschung in Gegenwart wie Vergangenheit so faszinierend macht. Viele der in den Vitrinen präsentierten Akte und Gesten selbst hingegen erscheinen uns heute kurios oder obsolet. Dieser Wandel der Einschätzungen resultiert – so der aktuelle Forschungskonsens – maßgeblichen aus den Umbrüchen der Französischen Revolution. Mit ihren Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sollte sie nicht nur die althergebrachten Vorstellungen gesellschaftlicher Ordnung umstürzen. Als „antiritualistische“ Bewegung stellte sie radikal auch die symbolischen Handlungen in Frage, in denen sich die alteuropäische „Ständegesellschaft“ zuvor ihrer als gottgewollt verstandenen Hierarchie versichert hatte. Zwar führte diese Kritik nicht zur „Ritualarmut“ der neuen Gesellschafts- und Staatsordnungen, sondern der Verlust alter Formen wurde bald durch neu geschaffene Rituale kompensiert. Sie freilich wären das Thema einer eigenen Ausstellung.

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