Liebeslieder aus dem Codex Manesse
Rudolf von Fenis
Der Schweizer Minnesänger Rudolf von Fenis stammt aus der Familie der Grafen von Neuenburg. Da ihre Herrschaftsgebiete um die Stammburg in Neuchâtel halb deutsch, halb französisch waren, beherrschte Rudolf vermutlich beide Sprachen.
Diese Kenntnisse spiegeln sich auch in seiner Dichtung: Rudolfs Klagekanzonen sind formal und inhaltlich stark von der romanischen Lyrik der Troubadours geprägt. Ihr Thema ist die zerstörerische Macht der Liebe, an der sich der Sänger verbrennt wie eine Motte am Licht.
Mit sange wânde ich mîne sorge krenken (Bl. 20v)
Mit sange wânde ich mîne sorge krenken.
dar umbe singe ich, daz ich sî wolte lân.
sô ich ie mêre singe und ir ie baz gedenke,
sô mugent si mit sange leider niht zergân,
Wan minne hât mich brâht in sölhen wân,
dem ich sô lîhte niht mac entwenken,
wan ich ime lange her gevolget hân
Sît daz diu minne mich wolte alsus êren,
daz si mich hiez in dem herzen tragen,
diu mir wol mac mîn leit ze vröiden kêren,
ich waere ein gouch, wolt ich mich der entsagen.
Ich wil mînen kumber ouch minnen klagen,
wan diu mir kunde daz herze alsô versêren,
diu mac mich wol ze vröiden hûs geladen.
Mich wundert des, wie mich mîn vrowe twinge
so sêre, swenne ich verre von ir bin.
sô gedenke ich mir – und ist mîn gedinge –,
mües ich sî sehen, mîn sorge waere dahin.
‚Sô ich bî ir bin’, des troestet sich mîn sin
unde waene des, daz mir wol gelinge.
alrêst mêret sich mîn ungewin.
Sô ich bî ir bin, mîn sorge ist deste mêre,
alse der sich nâhe biutet zuo der gluot,
der brennet sich von rehte harte sêre.
ir grôze güete mir daz selbe tuot.
Swenne ich bî ir bin, daz toetet mir den muot,
und stirbe aber rehte, swenne ich von ir kêre,
wan mich daz sehen dunket alsô guot.
Ir schoenen lîp hân ich dâ vor erkennet,
er tuot mir als der viurstelîn daz lieht.
diu vliuget dâr an, unze sî sich gar verbrennet.
ir grôziu güete mich alsô verriet.
Mîn tumbez herze daz enlie mich alsô niet:
ich habe mich sô verre an si verwendet,
daz mir ze jungest rehte alsame geschiet.
Mit Gesang hoffte ich mein Leid zu mindern.
Ich singe, um es hinter mir zu lassen.
Je mehr ich aber singe und je mehr ich daran denke,
um so weniger, ach, kann es durch Singen vergehen.
Denn Liebe hat mich mit einer Hoffnung erfüllt,
der ich so leicht mich nicht entziehen kann,
zu lange schon bin ich ihr gefolgt.
Da die Liebe mir nun einmal solche Ehre erwies,
dass sie mich diejenige im Herzen tragen hieß,
die mir mein Leid leicht in Freude zu verwandeln vermag,
wäre ich ein Narr, wenn ich von ihr mich lossagen würde.
Ich will meinen Schmerz auch der Liebe klagen,
denn die mir das Herz so zu verletzen wusste,
die kann mich ebenso gut ins Haus der Freude einladen.
Mich wundert, wie meine Dame mir
so sehr Gewalt antun kann, wenn ich fern von ihr bin.
Dann denke ich mir – und ist es meine Hoffnung –,
dürfte ich sie sehen, dann wäre meine Sorge dahin.
‚Wenn ich erst bei ihr bin’, damit tröste ich mich
und hoffe, dass mir Glück beschieden sein wird.
Da aber vergrößert sich mein Unglück erst.
Wenn ich bei ihr bin, ist mein Leid um so größer,
wie bei dem, der sich nahe an die Glut begibt
und sich zu Recht schmerzhaft verbrennt.
Ihre große Vortrefflichkeit fügt mir dasselbe zu.
Wann immer ich bei ihr bin, tötet es mein Herz.
Erst recht aber sterbe ich, wenn ich mich von ihr wende,
denn sie zu sehen scheint mir dann viel besser.
Einst lernte ich ihre schöne Gestalt kennen,
sie fügt mir dasselbe zu wie dem Nachtfalter das Licht:
Er fliegt hinein, bis er sich ganz und gar verbrennt.
Ihre große Vortrefflichkeit hat mich ebenso verführt.
Mein törichtes Herz, das hat mich nicht verlassen:
Ich habe mich so sehr an sie verloren,
dass mir am Ende zu Recht ebenso geschehen wird.