Die Große Heidelberger Liederhandschrift – der Codex Manesse
Der Codex Manesse, auch „Große Heidelberger Liederhandschrift” genannt, entstand zwischen ca. 1300 und ca. 1340 in Zürich. Er überliefert die umfangreichste Sammlung an mittelhochdeutscher Lied- und Spruchdichtung, die sich erhalten hat.
Der Codex besteht aus 426 beidseitig beschriebenen Pergamentblättern im Format 35,5 x 25 cm. Die Handschrift enthält 140 Dichtersammlungen in mittelhochdeutscher Sprache und umfasst annähernd 6.000 Strophen. Ihr Grundstock entstand um 1300 in Zürich. Die umfangreiche Lyriksammlung des Zürcher Patriziers Rüdiger Manesse und seines Sohnes Johannes gilt als eine der Hauptquellen für den Codex Manesse. Mehrere Nachträge kamen bis ca. 1340 hinzu. Die Handschrift gilt als repräsentative Summe des mittelalterlichen Laienliedes und bildet für den nachklassischen Minnesang die hauptsächliche und in vielen Fällen einzige Quelle.
Die in gotischer Buchschrift von mehreren Händen geschriebene Handschrift überliefert die mittelhochdeutsche Lyrik in ihrer gesamten Gattungs- und Formenvielfalt von den Anfängen weltlicher Liedkunst um 1150/60 bis zur Zeit der Entstehung der Handschrift.
Berühmt wurde die Handschrift vor allem durch ihre farbenprächtigen, ganzseitigen Miniaturen, die den Strophen von 137 der Sänger vorangestellt sind. Sie zeigen die Dichter in idealisierter Form bei höfischen Aktivitäten und gelten als bedeutendes Dokument oberrheinischer gotischer Buchmalerei.
Präsentierte Miniaturen in der Ausstellung / „Blättertermine”
- 1. Die Liebkosung – Herr Konrad von Altstetten: 26.10.-14.11.2010
Das Geschlecht derer von Altstetten ist seit 1166 bezeugt und hatte seinen Sitz im Oberrheintal. Es stand in den Diensten des Abtes von St. Gallen. Vermutlich handelt es sich bei dem Minnesänger um den 1320 bis 1327 in Urkunden genannten Konrad von Altstetten, der das Meieramt innehatte.
Die Miniatur zeigt den Minnesänger, der im Schoß seiner Dame liegt und von ihr umarmt wird. Auf seiner ausgestreckten, von einem Handschuh geschützten Linken sitzt ein Falke, der mit seinem Schnabel die Losung hackt. Das Bild gibt so eine Anspielung auf die Falkenjagd, die metaphorisch auf die Rollenverteilung bei der Minnewerbung übertragen wurde.
Diese Miniatur wird vom 26. Oktober bis zum 14. November 2010 gezeigt.
UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Bl. 249v
- 2. Der Pfeil Amors – Herr Wachsmut von Mühlhausen: 15.11.-05.12.2010
Herr Wachsmut von Mühlhausen stammte vermutlich aus dem mitteldeutschen Raum und nicht aus dem oberelsässischen Mühlhausen, wie zeitweise angenommen wurde. Sein Name findet sich in einer Thüringer Urkunde von 1267.
Die Miniatur zeigt den Minnesänger, der seine Hände ergeben vor dem Körper übereinandergelegt hat. Vor ihm reitet eine edle Dame auf einem Pferd davon, sie blickt zurück und richtet noch ihren Minnepfeil auf ihn. Dass der Pfeil den Herrn bereits getroffen hat, davon zeugt die leicht mit roter Farbe gekennzeichnete Pfeilspitze, so als hafte das Blut des Getroffenen an ihr.
Diese Miniatur wird vom 15. November bis zum 5. Dezember 2010 gezeigt.
UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Bl. 183v
- 3. Der Brautraub – Herr Friedrich der Knecht: 06.12.2010-
02.01.2011 Nach der Mundart der überlieferten Lieder stammte Friedrich der Knecht aus Österreich oder Bayern. Er verfasste seine Gedichte vermutlich zwischen 1215 und 1250.
Die Miniatur illustriert einen in mittelalterlichen Romanen geschilderten Brauch: den Brautraub. Der auf seinem Pferd davon galoppierende Dichter hat eine junge Dame gepackt und vor sich gesetzt. Mit seinem Schwert wehrt er die beiden Verfolger ab, die ihre Schwerter ebenfalls angriffslustig schwingen.
Diese Miniatur wird vom 6. Dezember 2010 bis zum 2. Januar 2011 gezeigt.
UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Bl. 316v
- 4. Das Schachspiel – Markgraf Otto von Brandenburg: 03.01.-23.01.2011
Markgraf Otto IV. von Brandenburg (1266-1309) trägt den Beinamen „mit dem pfile”. Er wurde bei der Belagerung von Staß an der Bode am Kopf von einem Pfeil getroffen und ließ diese Pfeilspitze – aus Misstrauen gegenüber den Ärzten – ein Jahr lang in der Wunde
Die Miniatur zeigt Otto IV. von Brandenburg, der mit einer Dame eine Partie Schach spielt. Beide halten in der Linken eine Schachfigur (Turm und Springer) und deuten mit der Rechten auf das Schachbrett, so als disputierten sie über die vorangegangenen Züge. Das Schachspiel kann metaphorisch auf das taktische Liebeswerben um die Dame übertragen werden.
Diese Miniatur wird vom 3. bis zum 23. Januar 2011 gezeigt.
UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Bl. 13r
- 5. Das Minnegespräch – Herr Alram von Gresten: 24.01.-20.02.2011
Ein Alram oder Waltram von Gresten konnte urkundlich bislang nicht nachgewiesen werden. Möglicherweise war er Niederösterreicher und stammte aus dem Ort Gresten westlich von Neustift. Er könnte zu Beginn des 13. Jahrhunderts gedichtet haben, doch es muss offen bleiben, ob er überhaupt der Autor der im Codex Manesse überlieferten fünf Lieder ist, da diese in einer anderen Liederhandschrift alle unter einem jeweils anderen Dichternamen überliefert sind.
Die Miniatur zeigt den Dichter in der typischen Situation des Minnegesprächs. Der Herr und die Dame sitzen sich einander zugewandt auf einer Bank. Etwas über ihren Köpfen, aber genau in der Mitte prangt im Hintergrund an einem Rosenstock der Wappenschild des Minnesängers, der hier in Goldbuchstaben geschrieben das Wort AMOR als heraldisches Zeichen aufnimmt. Die Dame hält ein aufgeschlagenes Heft, in dem die ersten Worte des Prologs zum "Lanzelet" Ulrichs von Zatzikhoven eingetragen sind:
Swer recht wort merck/en kann der gedencke wie
Diese Miniatur wird vom 24. Januar bis zum 20. Februar 2011 gezeigt.
UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, Bl. 311r