A. Die ersten vier Jahrhunderte (1386 bis 1800)
- Die Universität Heidelberg bis zum Ende des 16. Jahrhunderts
- Gründung der Universität und erster Gebäudebesitz durch die Vertreibung der Heidelberger Juden
- Hebräische Studien an der Universität Heidelberg
- Hebräische Handschriften der Bibliotheca Palatina
- Die Universität im 17. Jahrhundert
- Der Eintritt der Juden in die Universitäten
- Jüdische Studenten 1724 bis 1800 in Heidelberg
Die Universität Heidelberg bis zum Ende des 16. Jahrhunderts
Die Universität Heidelberg ist nach Prag (1348) und Wien (1365) die dritte Universitätsgründung im Heiligen Römischen Reich und die erste auf deutschem Boden. Das große abendländische Schisma von 1378, als deutsche Magister und Studentendie Pariser Hochschule verlassen mussten, schuf die Voraussetzungen für die Gründung einer Universität durch den pfälzischen Kurfürsten Ruprecht I. (1353–1390) in seiner Residenzstadt Heidelberg. Verhandlungen mit der Kurie führten am 26. Juni 1386 zu dem kurfürstlichen Beschluss, gemäß der päpstlichen Erlaubnis in Heidelberg ein Generalstudium nach Pariser Vorbild einzurichten. Als Organisator und erster gewählter Rektor bestimmte neben dem Kurfürsten der bedeutende niederländische Gelehrte Marsilius von Inghen (um 1340–1396) die Gründungsphase der neuen Universität. Nach bescheidenen Anfängen mit nur drei Magistern nahm die Zahl der Lehrer und Immatrikulationen in den vier Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Artistenfakultät rasch zu. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts bestand der Lehrkörper aus etwa 15 Personen; die jährlichen Neueinschreibungen stabilisierten sich bei durchschnittlich 170.
Ganz im Sinne des ursprünglichen Konzeptes führten die Nachfolger Ruprechts I. den Ausbau der Hochschule fort. Zum Ende des 15. Jahrhunderts wirkte durch landesherrliche Initiative der Geist des Humanismus in die Universität Heidelberg hinein. Der scholastische Charakter der Hochschule blieb dennoch bis zur Mitte des folgenden Jahrhunderts bestehen. Unter Kurfürst Ottheinrich wurde sie zu einer evangelischen Landesuniversität umgestaltet. Die Lehrinhalte wurden neu definiert, das Kirchenrecht bei den Juristen fast ganz zurückgedrängt. Ottheinrichs Nachfolger festigten den konfessionellen Status der Universität im Sinnedes reformierten Bekenntnisses. Heidelberg gewann das Profil eines "deutschen Genf" mit bedeutender calvinistischer Hochschule. Zahlreiche Studenten und Gelehrte aus ganz Europa fanden sich zu Studium und Lehre ein und trugen zur internationalen Geltung der Universität bei.
Gründung der Universität und erster Gebäudebesitz durch die Vertreibung der Heidelberger Juden
Das Problem der Beschaffung von Gebäuden für die 1386 gegründete Universität löste der Nachfolger Ruprechts I., sein Neffe Ruprecht II., durch einen Akt des Antijudaismus. Nachdem der Kurfürst im August 1390 die fällige Verlängerung der Privilegien für die jüdischen Familien in Heidelberg nicht mehr gewährt hatte, musste die erst seit Mitte des 14. Jahrhunderts wieder ansässig gewordene jüdische Gemeinde, bestehend aus 13 Familien, im Oktober 1390 die Stadt verlassen. Sieben Monate später erhielt die Universität vom Kurfürsten den Grundbesitz der Ausgewiesenen als Geschenk und bezog das bisherige jüdische Viertelwestlich der Heiliggeistkirche zwischen Hauptstraße und Neckar. Die Synagogean der Ecke Judengasse/Untere Straße wurde bereits am zweiten Weihnachtsfeiertag 1390 zur Marienkapelle geweiht. Sie diente seitdem als Tagungsort der Congregatio universitatis sowie als Hörsaal.
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Hebräische Studien an der Universität Heidelberg
Mit der Berufung Sebastian Münsters als Professor für Hebräische Sprache an die Universität (1524–1529) wurde Heidelberg zu einem Zentrum für Hebräische Studien in Südwestdeutschland. Vor Münster lehrte Johann Böschenstein als erster Hebraist an der Heidelberger Hochschule (1522–1529); seitdem war das Fach als philologische Disziplin – mit sporadischen Unterbrechungen – an der Universität vertreten. Unter den Lehrstuhlinhabern im 16. Jahrhundert befanden sich mit Paul Staffelsteiner (1551–ca.1558), Immanuel Tremellius (1561–1577) und Jakob Christmann (1584–1613) drei Hebraisten jüdischer Herkunft.
Sebastian Münster (geboren 1488 in Ingelheim am Rhein, gestorben 1552 in Basel; bis 1529 katholisch, danach evangelisch) trug maßgeblich zur Etablierung des Hebräischen als Lingua sacra neben dem Griechischen und Lateinischen sowie zur Entwicklung der christlichen Hebraistik als eigenständiger Wissenschaft bei. Er veröffentlichte in Heidelberg zahlreiche hebräische und aramäische Schriften: nebengrammatischen und lexikographischen Arbeiten auch kommentierte Ausgaben und Übersetzungen biblischer Bücher sowie sprachwissenschaftlicher und literarischer Werke (Maimonides u.a.). Wegweisend für seine hebräischen Studien wurde der jüdische Gelehrte Eliah Levita (1469–1549), mit dem er sich im Briefwechsel befand. Beeinflusst wurde Münster auch von Johannes Reuchlin (1455–1522), dem Begründer der christlichen Hebraistik, der zu dem Kreis der Humanistengehörte, die Kurfürst Philipp um 1500 an seinem Hof in Heidelberg versammelthatte und die durch Vorlesungen in das Geistesleben der Universität hineinwirkten. Reuchlins Werk "Rudimenta linguae hebraicae" gab Münster 1537 neu heraus.
1529 trat Münster zum evangelischen Bekenntnis über und übernahm den Lehrstuhl für Hebräische Sprache an der Universität Basel. Seine "Biblia Hebraica", eine zweibändige Ausgabe des Alten Testaments, veröffentlichte er 1534/35. Neben den hebraistischen Schriften verfasste Münster zahlreiche mathematisch-astronomische, geographische und kosmographische Werke; z. B. die "Cosmographia" mit über 900 Holzschnitten und Karten.
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Hebräische Handschriften der Bibliotheca Palatina
Mit der Begründung Heideilbergs als Stadt der Wissenschaft begann auf Initiative der Kurfürsten die planmäßige Sammlung von Büchern. 1421 stiftete Ludwig III. die Bibliothek des Heiliggeiststifts, die zum Grundstock der "Bibliotheca Palatina" gehört. Die auf den Emporen der beiden Seitenschiffe der Heiliggeistkirche untergebrachte Bibliothek wurde von Kurfürst Ottheinrich, der mit besonderer Bewusstheit Buch und Bibliothek als Ausdruck fürstlicher Herrschaft verstand, durch Zusammentragen bedeutender Schätze aus der Antike und der mittelalterlichen Kaiserzeit ergänzt. Die Sammlung von Texten lateinischer, griechischer, hebräischer und arabischer Sprache führte Gelehrte aller Konfessionen nach Heidelberg. Nach dem Zugang zahlreicher Handschriften aus der Sammlung Ulrich Fuggers Ende des 16. Jahrhunderts galt die Bibliotheca Palatina als die bedeutendste Bibliothek nördlich der Alpen. Mit Beginn des Dreißigjährigen Krieges kam der Bibliotheksaufbau zum Erliegen. Nach der Niederlageder pfälzischen Wittelsbacher und der Eroberung Heidelbergs im Jahr 1622 schenkte Herzog Maximilian von Bayern die Bibliotheca Palatina Papst Gregor XV. Im Frühjahr 1623 wurden mehr als 3500 Handschriften und etwa 13.000 Druckschriften nach Rom gebracht. Erst 1816 konnte mit den deutschen Handschriften ein kleiner Teil der Palatina aus dem Vatikan zurückgewonnen werden. 1888 kehrte die Große Heidelberger Liederhandschrift ("Codex Manesse", entstanden Anfang des 14. Jahrhunderts) nach Heidelberg zurück.
Die hebräischen Handschriften der Bibliotheca Palatina kamen im 16. Jahrhundert in die Sammlung, offenbar im Zusammenhang mit dem humanistischen Interesse an derhebräischen Sprache und am jüdischen Schrifttum. Es handelt sich insgesamt um 288 Stücke, die aus verschiedenen Quellen zusammengetragen wurden. Der größte Teil, nämlich 175 Manuskripte, stammt aus der Bibliothek des Augsburger Kaufmanns Ulrich Fugger (1526–1584), der als Religionsflüchtling nach Heidelberg kam. Weitere Handschriften – etwa 75 – kamen aus dem Besitz Ottheinrichs sowie des sizilianischen Humanisten Antonio Flaminio (gestorben 1513) in die Palatina.
Die meisten der Fuggerschen Schriftstücke gehörten ursprünglich der jüdischen Gemeindein Candia auf Kreta, die ihre Sammlung aus wirtschaftlicher Not verkaufte. Die Dokumente zeigen ein breites Spektrum des Gemeindelebens: Bibel-Kommentare, Midraschim, rabbinische Codices, liturgische Werke sowie Schriften zur Philosophie, Kabbala, Medizin, Mathematik und Naturwissenschaft.
Die hebräischen Handschriften wurden wie die anderen Teile der Bibliotheca Palatina 1623 nach Rom transportiert, wo sie heute etwa ein Drittel aller hebräischen Schriften des Vatikans bilden.
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Die Universität im 17. Jahrhundert
Das 17. Jahrhundert führte die Universität in zwei existenzbedrohende Katastrophen, im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) und im Pfälzer Erbfolgekrieg (1688–1697). Verursacht durch die Besetzung Heidelbergs durch bayerische Truppen 1622 und seit 1629 rekatholisiert, führte die Universität ein unbedeutendes Leben und bestand schließlich nur noch formal. Mit der Wiedereröffnung 1652 verband der reformierte Kurfürst Karl Ludwig eine Statutenreform, deren wichtigste Neuerung in einer Lockerung der Konfessionsklausel bestand. Diese Toleranz ermöglichte die Berufung des jüdischen Mediziners Jacob Israel auf den Lehrstuhl für Physiologie, Anatomie und Chirurgie im Jahr 1652. Karl Ludwig bemühte sich auch um den Philosophen Baruch de Spinoza, dem er 1673 den Lehrstuhl für Philosophie anbot. Spinoza ließ sich jedoch trotz der Zusicherung der "libertas philosophandi" nicht für Heidelberg gewinnen, da er eine Einschränkung seiner Meinungsfreiheit befürchtete.
Das Fach Hebräische Sprache war zeitweise in der Philosophischen, meist aber in der Theologischen Fakultät angesiedelt. Es diente dem Verständnis des Alten Testaments und wurde als Hilfswissenschaft der Bibelkunde betrieben. Oft war Hebräisch auch im Fach "Orientalische" oder "Morgenländische Sprachen" integriert und wurde nicht als eigene Disziplin gelehrt.
Die durch Karl Ludwig wiederbegründete geistige und wissenschaftlichen Blüte der Heidelberger Hochschule war im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts beendet. 1693 wurde die Stadt von französischen Truppen zerstört. Die Universität führte in Frankfurt am Main und Weinheim ihren Lehrbetrieb fort. In Heidelberg konnten die Vorlesungen erst 1704 wieder aufgenommen werden.
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Der Eintritt der Juden in die Universitäten
Im 18. Jahrhundert begann der für die jüdische Beteiligung am akademisch-kulturellen Leben wichtige Transformationsprozess von der ständisch-feudalen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Die bisherige Lebensform der jüdischen Gemeinden in Deutschland war gekennzeichnet durch die Einheit von Religion und Kultur. Das Religionsgesetz gewährleistete den festen Zusammenhalt der Gemeinde und beherrschte das geistige und soziale Leben; das Studium von Thora und Talmud stand im Mittelpunkt der jüdischen Gelehrsamkeit. Im Verlauf des späten 18. und des 19. Jahrhunderts bewirkte der Prozess der kulturellen Integrierung und staatsrechtlichen Emanzipation einen Wandel im politischen, religiösen und sozialen Selbstverständnis der Juden. Ein neues Bildungsideal, verkörpert durch Leben und Werk Moses Mendelssohns (1729–1786), orientierte sich stärker an Kultur und Wissenschaft der christlichen Umwelt. Die Auflösung der traditionellen Einheit von Religion und Bildung ermöglichte die Akkulturation und damit gesellschaftlichen Aufstieg und Teilhabe am kulturellen Leben im Staat. Im Rahmen der Haskala ("Aufklärung") strebten einige Rabbiner nach einer Reform des Judentums und wandten sich dem Studium der sogenannten "Äußeren" oder "Weltlichen Wissenschaften" zu. Bildung wurde auch von jüdischen Aufklärern als Mittel der sozialen Integration gesehen, zu dem ein Universitätsstudium die Möglichkeit bot.
Im Gegensatz zu den italienischen und niederländischen Universitäten, die bereits seit dem 16. bzw. frühen 17. Jahrhundert Juden zum Studium der Medizin zuließen, öffneten sich die Hochschulen im Heiligen Römischen Reich erst im ausgehenden 17. Jahrhundert den jüdischen Studenten. Die Landesherren und Universitäten trugen dem Interesse der Juden an einer akademischen Ausbildung in zeitlich unterschiedlicher Weise Rechnung. Da Juden nur die medizinische Fakultät offenstand, immatrikulierten sich in ihr auch diejenigen mit philosophischem Interesse; die anderen Fakultäten öffneten sich erst langsam mit der Verbreitung der Aufklärung zum Ende des 18. Jahrhunderts jüdischen Studenten. Staatsprüfungen und der Zugang zu öffentlichen Ämtern wurden ihnen jedoch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein verweigert.
Jüdische Studenten 1724 bis 1800 in Heidelberg
Die Professur des jüdischen Mediziners Jacob Israel (1652–1674) blieb ein Einzelfall und bedeutete nicht die Öffnung der Universität für Juden als Lehrer oder Studenten. Erst 1724 wurde in Heidelberg der erste jüdische Student immatrikuliert. Seligmann Elkan Heymann Bacharach stammte aus der großen Gemeindeder benachbarten Residenzstadt Mannheim, die aus 200 Familien bestand. In Heidelberg existierte zu dieser Zeit eine kleine Gemeinde mit etwa 17 Familien. Der erste Student aus dieser Gemeinde war Gedeon Seckel, der sich 1785 für Philosophie einschrieb, später aber als Arzt arbeitete. Alle in Heidelberg studierenden Juden kamen aus Städten im Einzugbereich des Rheins. Viele von ihnen ließen sich später als Ärzte in Mannheim nieder und stärkten die Bedeutung der dortigen Gemeinde.
Mit insgesamt 25 Studenten hatte Heidelberg im 18. Jahrhundert als Studienort für Juden noch keine große Bedeutung. Die Ursache dafür war die seit 1704 bestehende katholisch-jesuitische Ausrichtung der Universität sowie der damit einhergehende Verlust an Ansehen und wissenschaftlicher Reputation. Die meisten der etwa 300 jüdischen Studenten im 18. Jahrhundert sammelten sich an den preußischen Universitäten Königsberg und Halle als Zentren der Aufklärungsbewegung.
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