II. „Hinaus in die Zukunft leben“ – von Preußen nach Heidelberg
„Der reine Funken, der von Seele zu Seele springt“ – wissenschaftliche Emanzipation
In den ersten Ehejahren befreite sich Marie Luise Gothein aus der Schülerinnenrolle, die sie gegenüber ihrem Mann einnahm. Zunehmend beförderten Freunde ihre intellektuelle Entwicklung. Auf ihren Studienreisen lernte sie Gleichgesinnte kennen, zuhause pflegte sie intensiven Austausch mit den Akademikern der Universitäten.
Zu Beginn ihrer Beziehung sah Eberhard Gothein ein rein traditionelles Rollenbild für seine zukünftige Frau vor:
„Es kommt mir freilich immer vor, als ob ich erst recht mit frischer Lust werde arbeiten können, wenn einmal Dein Nähtisch neben meinem Schreibtisch steht, Du meine Manuskripte ordnest und den Staub von meinen Büchern wischst.“ [Seite 7br, Zeile 5 v.u. ff.]
Zwei Jahre später, kurz vor der Hochzeit, hatte sich diese Vorstellung schon in Richtung der gebildeten Salondame gewandelt: „Geliebter Schatz, wie schön wird es sein, wenn Du als meine kleine kluge Hausfrau einen Kreis von gescheiten Männern unsichtbar leitest […]“.
Als Braut hinterfragte Gothein diese Rolle nicht, da der Bräutigam sie mit seinen Reflexionen manchmal überforderte:
„Ich mußte den Brief, trotz dem doch noch einmal lesen um so Recht in das Verständnis hinein zu kommen, ich kann Dir also gleich Deine Frage offen beantworten Interesse habe ich für diese Dinge großes, das heißt vorläufig noch das Interesse das schon Dein Wunsch äußert so viel wie möglich dazu zu hören und zu verstehen. Ob ich aber freiwillig je dazu gekommen wäre, bezweifle ich, das ist bei uns Mädchen überhaupt etwas eigenes, da wir nicht selbst forschen und wirklich in eine Wissenschaft hineindringen, muß das Interesse doch von außen bei uns angeregt werden […]“. [Seite 1r, Zeile 5 v. u. ff.]
Aus dem von außen angeregten Interesse wurde aber recht bald eine intrinsische Motivation und Gothein begnügte sich später nicht mit der passiven Rolle der gebildeten Hausdame.
II.3
a) Eberhard Gothein: Brief an Marie Luise Schröter, „Berlin W. Derfflingerst. 19a d. 16/1 83“
UB Heidelberg, Heid. Hs. 3484,7
b) Marie Luise Schröter: Brief an Eberhard Gothein, „d. 9ten 4. 84.“
UB Heidelberg, Heid. Hs. 3487,29