V. Wie wird in der Praxis gezeichnet?
Porträtzeichnen
Neben der Landschaft war das Porträt seit dem 17. Jahrhundert das beliebteste Thema der zeichnenden Dilettanten. Lavaters empirischer Ansatz wurde im Zuge dessen zum vielbeachteten Leitfaden, auch weil anhand der Tafeln seines Werks unterschiedliche Gesichtsmerkmale geübt werden konnten. Die Darstellungen der Zeichner konnten dabei einerseits darauf abzielen, eine besonders authentische Wiedergabe der physischen beziehungsweise psychischen Eigenschaften ihres Gegenübers zu erreichen. Populär war es jedoch auch, die Gesichtszüge Christi und anderer historischer Persönlichkeiten ideal-typisch darzustellen.
Das kleine Blatt von der Hand des heute nicht mehr identifizierbaren Dilettanten F.C. Frisch stammt aus einem Freundschaftsalbum des Johann Karl Nagel (um 1787-1802), der zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich Student in Berlin war, was auch für Frisch zutreffen könnte. Diese Funktion begründet wohl auch die Wahl des Bibelspruchs aus Matth. 5, 47 zum Umgang untereinander. Die Zeichnung erlaubt es, für das frühe 19. Jahrhundert ansatzweise die Interessen am Bildnis Christi nachzuvollziehen. Weniger um das Leiden als um die Gestalt des Antlitzes und um seine Präsenz und gütige Hinwendung zu den Betrachtern scheint es gegangen zu sein. Denn das Bildnis ist von der Suche des Künstlers nach der ‚wahren Gestalt’ seines Erlösers geprägt, wie sie zeitgleich Lavater und die Nazarener vergegenwärtigen wollten.
V.7.1
F.C. Frisch
Christuskopf in Profil, 1787
Rötel auf Papier, „Und so ihr auch nur zu euren Brüdern freundlich thut, was thut ihr sonderlich – Evangl: S. Matth: cap. 5. v: 47“, Aufgeklebt „F.C. Frisch. Ber[lin] d[en] 24 April 1787“
Privatsammlung