II. Wie lernt man zeichnen?
Nachdem der Besucher im ersten Raum einen Eindruck von der Vielfältigkeit der Zeichner und ihrer Gegenstände erhalten hat, erfährt er im anschließenden ‚Methoden-Kabinett’ mehr über die unterschiedlichen Didaktiken, nach denen diese Kunstfertigkeit von der Frühen Neuzeit bis in die Moderne erlernt wurde. Dabei markierten motorische Übungen im Linien-Ziehen häufig den Startpunkt der Ausbildung. Ähnlich den Verfahren im Schreibunterricht hatte der Schüler dabei vorgegebene Linien-Verläufe solange nachzuzeichnen, bis er sie automatisch beherrschte. Erst anschließend konnte sich der Schüler mit dem menschlichen Körper beschäftigen, indem er zunächst Darstellungen einzelner Körperteile (Augen, Ohren, Füße, Hände etc.) erlernte und aus diesen anschließend eine komplette Figur bildete. Über allem stand jedoch die Methode ‚Lernen durch Nachahmen’, d.h. die Ausbildung der eigenen Zeichenfertigkeit durch das Kopieren der Formsprache antiker und neuzeitlicher Meister sowie der Natur. Zahlreiche Zeichenbücher stellten dafür in didaktisch aufbereiteter Form das notwendige Vorlagenmaterial bereit; so z.B. Johann Christian Mannlichs Zeichenbuch für Zöglinge, in dem Gesichtsteile und Köpfe ausschließlich aus den ideal-schönen Werken Raffaels übernommen wurden. Dieser traditionelle Methoden-Kanon wurde dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Reformern der Kunsterziehungsbewegung in Frage gestellt. Denn Zeichenlehrer wie Alfred Lichtwark und Franz Èižek versuchten, den Unterricht der Kleinsten programmatisch offen zu gestalteten und ihn von allen Elementen der Disziplinierung zu befreien. Den Kindern wurden dabei vage Themen vorgegeben, die sie ohne visuelle Vorlagen frei nach ihrer eigenen Fantasie zeichnen durften. So sollte es ihnen ermöglicht werden, ihre angeborene Kunst- und Ausdruckskraft eigenständig zu entwickeln.