Eine mittelalterliche Gesamtausgabe: Mitgefühl für die Heiden
Eine mittelalterliche Gesamtausgabe
Die Versromane des Dichters Wolfram von Eschenbach (*um 1160/80 – um 1220) waren beim mittelalterlichen Publikum sehr geschätzt: Der „Willehalm“ und der „Parzival“ stammen aus seiner Feder, sogar der vollendete „Titurel“ wurde allein ihm zugeschrieben.
In den drei ausgestellten Handschriften Cod. Pal. germ. 404, Cod. Pal. Germ. 364 und Cod. Pal. germ. 383 sind diese Werke nebst ihren Erweiterungen enthalten. Die Ähnlichkeiten im Format, im Initialschmuck und bei den Schreiberhänden legen die Vermutung nahe, dass die drei Bände als eine Gesamtausgabe der Werke Wolframs von Eschenbach konzipiert wurden. Sie dürften in einem klösterlichen Skriptorium im Bamberger Raum geschrieben worden sein. Aufgrund dieser Lokalisierung wird angenommen, dass sie einst in die Bibliothek des Bamberger Bischofs Lamprecht von Brunn (um 1320–1399) gehörten. König Ruprecht von der Pfalz kaufte 1408 dessen Buchbestände für die Schlossbibliothek Heidelberg.
Mitgefühl für die Heiden
In Orange versammelt sich das Heer der Christen, um von dort in den Kampf gegen die Sarazenen zu ziehen. Während des Kriegsrats, der auf der Burg Glorjet stattfindet, bekundet Willehalms Frau Gyburg ihr Mitgefühl sowohl für die Christen als auch für die Heiden, da sie alle „Gottes Geschöpfe“ seien (V. 450,19; gotes hantgetât).
Wolfram von Eschenbach schuf um 1217 ein Versepos, das neben der karolingischen Reichsgründung auch den Kreuzzugsgedanken thematisiert. Nach dem „Rolandslied“ ist es das zweite deutschsprachige Werk, das nach einer konkreten Vorlage einer französischen „Chansons de geste“ im 13. Jahrhundert entstand. So bekundet Wolfram von Eschenbach, Landgraf Hermann von Thüringen habe ihm die Geschichte gegeben, die man in französischer Sprache „Comte Guillaume d’Orange“ nennt (V. 3,8-11).
Die Hauptfigur ist Willehalm (Graf Guillaume von Toulouse), ein Enkel Karl Martells, der als Markgraf der Provence das fränkische Reich im Süden gegen die Sarazenen verteidigt und dabei in deren Gefangenschaft gerät. In dieser Zeit verliebt er sich in Arabel, die Frau des Sarazenenkönigs Tybalt. Arabel flieht mit Willehalm, dessen Liebe sie erwidert und weil sie sich selbst zum christlichen Glauben bekehrt.
Sie nimmt den Namen Gyburg an. Damit werden neue kriegerische Auseinandersetzungen ausgelöst, denn um Vergeltung zu üben, ziehen Tybalt und sein Schwiegervater Terramer mit einem riesigen Heer gegen Willehalm aus.
Aus ungeklärten Gründen konnte Wolfram von Eschenbach sein Werk nicht vollenden. Der jüngere Dichter Ulrich von Türheim schuf eine Fortsetzung, den „Rennewart“, und Ulrich von Türlin eine Vorgeschichte, die „Arabel“. Gemeinsam mit dem „Willehalm“ bilden diese Werke eine beliebte Trilogie, wie sie auch in der ausgestellten Heidelberger Handschrift vorliegt.
Transkription der Textstelle (PDF)
Ulrich von dem Türlin: Arabel, Wolfram von Eschenbach: Willehalm, Ulrich von Türheim: Rennewart
Ostfranken (Bamberg?), 2. Viertel 14. Jh.
Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 404, Bl. 105v